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Die japanische Version des Russischen Roulette: der Fugu-Fisch spielt eine tragende Rolle in dem Film |
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Mittwoch, 14.06.2006
Film: Mord in der Biotoilette und chinesische LiebeMoskau. Eigentlich geht man Mitte Juni lieber an den Strand, als ins Kino. Doch der kalte Sommer lässt den Moskauern diesmal keine andere Wahl. Die Kinos sind jahreszeitwidrig voll - und es gibt tatsächlich Sehenswertes.
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Der Hauptpreis des renommierten Kinotawr (Kinotaurus) - Filmfestivals im Schwarzmeerbadeort Sotschi ist dem bisher als Theaterregisseur bekannten Kyrill Serebrennikow für den Film "Ortstermin" (Originaltitel "Isobraschaja schertwu" - Das Opfer dastellen) zuerkannt worden. Ausserdem wurde der Streifen mit dem unabhängigen Preis der Filmkritikergilde ausgezeichnet. Die wirklich brillante schwarze Komödie flimmert bereits auch in Moskau über die Leinwand.
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Mord in der Biotoilette
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In Russland müssen Schwerverbrechen, selbst wenn der Täter geständig und seine Schuld bewiesen ist, von Ermittlern am Originaltatort nachgestellt werden. Erst dann kann die Akte ans Gericht übergeben werden. Valentin, der nach der Uni keine seinem Geschmack entsprechende Anstellung fand, jobbt bei der Kriminalpolizei als Opfer. Bei der Nachtellung eines Mordes liegt er mal tot in der eingezeichneten Kontur auf dem Fußboden, mal sitzt er als totes Mädchen auf dem Klo.
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Für die nie lächelnde Polizistin Ljuda, die all das täglich acht Stunden lang mit einer Videokamera aufnimmt, ist es Routine, die sie persönlich kalt lässt.
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Die Folge dieser Kaltblütigkeit sind allerdings Situationen, über die manche sich krumm lachen können. Ein Mädchenmörder etwa führt an Valentin vor, wie er versucht hat, sein in einer Toilettenzelle umgebrachtes Opfer zu zerstückeln. Einen Unterarm hatte er schon weg. Doch als er den in der Jauchegrube versenken wollte, musste er feststellen, dass eine Biotoilette keine Grube hat. Also ließ er die einarmige Tote einfach sitzen.
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Alternde Geisha und Fugu
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In einem japanischen Restaurant mit einer alternden Geisha (die unnachahmliche Lia Achedschakowa) erzählt ein anderer Mörder, wie er einen früheren Schulkameraden bei einem Klassentreffen über den Haufen schoss. Der Täter war der Klassenprimus gewesen und das Opfer eine Mittelmäßigkeit, doch wurde der eine Gangster und der andere erfolgreicher Unternehmer.
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Sie hatten Fugu-Fisch bestellt, der, falls nicht richtig zubereitet, lebensgefährlich werden kann. Also habe er dem Ex-Freund möglicherweise einen qualvollen Tod erspart, sagt der Todesschütze.
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Angesichts dieser Logik gehen selbst dem hart gesottenen Ermittler, den man nicht so leicht unterkriegt, die Nerven durch. Er lässt einen nicht salonfähigen Monolog gegen die junge Generation los und bestellt sich eine Portion Fugu. Im letzten Moment spuckt er den aber aus, spült den Mund mit Sake und lässt wieder einen undruckbaren Dialog los.
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Trainingsmaterial in russischen Mutterflüchen
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Wer sich in russischen Mutterflüchen üben möchte, sollte sich den Film anschauen. Der Tod wäre dem braven Polizeihauptmann übrigens ziemlich sicher gewesen, weil der vermeintliche janische Koch Wassja den Fugu nur zum zweiten Mal in seinem Leben zubereitete.
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Russlands Kino nimmt den Kampf mit Hollywood auf
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Auch für weniger anspruchsvolles Publikum haben russische Filmproduzenten vorgearbeitet. Seit geraumer Zeit schon beackern sie das ergiebige Action-Feld, statt es wie in den 90er Jahren kampflos Hollywood zu überlassen. Allein in diesem Jahr kamen ein halbes Dutzend einheimische Blockbuster heraus, und zwar mit hervorragender schauspielerischer Besetzung. An dieser Stelle sei an die Wächter der Nacht und die des Tages im ewigen Kampf zwischen Licht und Finsternis erinnert.
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Schmetterlingskuss - Chinesische Liebe am Finnischen Meerbusen
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Schmetterlingskuss heißt ihr neues Produkt. Das 30 Jahre alte Computergenie Nikolai lernt im chinesischen Restaurant Mandschurei am finnischen Meerbusen die chinesische Liebesdienerin Li kennen. Am nächsten Morgen ist sie ihm aus dem Bett, nicht aber aus dem Herzen entschwunden.
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Er sucht und findet sie. So etwas von Liebe gibt es eigentlich nur im Kino, nicht im Leben. Nikolai (Sergej Besrukow, der unnachahmliche Jeschua aus der Fernsehverfilmung von Bulgakows Meister und Margarita) merkt es viel zu spät. Die schmetterlinghafte Li lockt Nikolai, der als Industriespion jobt, in die Fänge der chinesischen Mafia.
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Kaugummi mit Roter Bete und Knoblauch
Der neue Streifen hat es in sich. Da ist die unbewusste Nostalgie der geheimnisvollen russischen Seele nach der Atmosphäre der alten weißen Emigration in Singapur und Schanghai um 1930.
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Aktuell politisch winken zaunpfahlähnlich die sich abzeichnende Achse Moskau-Peking und die weg von Europa gen Osten führende Gaspipeline im Hintergrund. Unterschwellig spürt der Zuschauer berühmt-berüchtigte nationale Probleme, gegen die nicht einmal die so-o große Liebe etwas ausrichten kann.
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Und schließlich lässt der unvergessliche 007 mit Verfolgungsjagden und Bombenexplosionen grüßen. Dem steht allerdings der unausrottbare tierische Ernst der exsowjetischen Spionagefilme im Weg.
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Unterm Strich sind es 100 Minuten Kaugummi mit Borschtsch-Geschmack. Für jene, die es nicht wissen: Borschtsch ist die russische Kohlsuppe mit roter Bete und einem Schuss Knoblauch. Ansonsten ganz, ganz nett. Und sehr sehenswert.
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(adu/.rufo)
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