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Geistert alle Jahre wieder über die russischen Fernsehschirme. (Foto: mosfilm) |
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Mittwoch, 03.01.2007
Eldar Rjasanows "Karnevalsnacht" wird 50 Jahre altSt. Petersburg. Der Silvester-Filmklassiker ist auf den ersten Blick eine kitschige Liebeskomödie. Im Kontext zu seiner Entstehungszeit war er jedoch eine Ohrfeige ins Gesicht stalinistischer Kulturfunktionäre.
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Wie im Westen verbringt auch ein Grossteil der russischen Bevölkerung die Tage um den Jahreswechsel vor der Glotze und zieht sich alljährlich dieselben Filme rein. Gefragt sind auch hier politisch anspruchslose Herzschmerz-Klassiker oder Mantel- und Degen-Filme in sowjetischer Manier.
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Während auf deutschsprachigen Sendern zum x-ten Mal Sissi oder Aschenbrödel über den Fernsehschirm geistern, ergötzt sich das russische Kino an seinen eigenen Kultstreifen, so zum Beispiel die Neujahrskomödie "Ironie des Schicksals" oder die lustigen Abenteuer von "Schurik".
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Ein absolutes Muss ist auch die Mosfilm-Produktion "Die Karnevalsnacht", mit der Regisseur Eldar Rjasanow und Hauptdarstellerin Ludmilla Gurtschenko 1956 auf einen Schlag berühmt wurden. Seither wird der Streifen jährlich abgespult und weckt noch heute großes Entzücken. Grund dafür ist für einmal nicht eine keusche Liebesgeschichte, die normalerweise im Zentrum jedes Films steht, sondern die köstliche Abrechnung mit sowjetrussischer Kulturpolitik, die hier vollzogen wird.
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Versteht gar keinen Spaß: Kulturhaus-Direktor Ogurzow (Igor Ilinski). (Foto: mosfilm) |
Kampf der Jungen gegen die "saure Gurke"
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Lena (Ludmilla Gurtschenko) und ihre Truppe haben im Kulturpalast ein tolles Silvesterprogramm vorbereitet. Ihr Ziel ist es, den Gästen eine unvergessliche und frohe Neujahrsnacht zu bieten. Sie gehören zu jenen vom Sowjetstaat propagierten Enthusiasten, welche es fertig bringen, als Laien ein professionelles Showprogramm auf die Beine zu stellen.
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Ihr Gegner ist der Kulturhaus-Direktor Ogurzow (was man mit "saure Gurke" übersetzen kann), der den jungen Artisten durch seine Sturheit im letzten Moment das Festprogramm kaputt zu machen droht.
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Dem absolut humorlosen, bürokratischen und obrigkeitshörigen Funktionär, meisterhaft verkörpert durch Igor Ilinski, fehlt es in erster Linie an "Surios" (Ernst) eine Anspielung auf die starre und langweilige sowjetische Kulturdoktrin. Die Kostüme der Tänzerinnen sind ihm zu frivol und das Orchester zu oberflächlich und zu frech. Den Auftritt der Clowns "Tip-Top" korrigiert er solange, bis jeder Witz eliminiert ist und sie auf der Bühne nur noch Name, Vorname und Wohnort vorbringen können. Seiner Meinung nach soll Silvester mit einem Rentner-Orchester und einem wissenschaftlichen Vortrag begangen werden.
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Der Sternenforscher Nekadilow (Sergei Filippow) wird erst in alkoholisiertem Zustand auf die Bühne gelassen. (Foto: mosfilm) |
Dem Kulturhaus-Direktor fehlt es an Ernst
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Das junge Festensemble ist entsetzt, und beschließt, die Pläne Ogurzows zu durchkreuzen, was mit viel Witz und Improvisation gelingt. Das Rentner-Orchester wird durch verkleidete junge Musiker zur Ulk-Nummer. Der Dozent, der das Publikum über das Leben auf dem Mars belehren sollte, wird rechtzeitig abgefangen, nach allen Regeln der Kunst abgefüllt und schließlich torkelnd auf die Bühne gelassen.
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Zwar versucht Ogurzow verzweifelt, das Ruder herum zu reißen, doch verstehen es die jungen Künstler immer von neuem, ihn davon abzuhalten. Er beendet seine Rolle mit einem ebenfalls typisch sehr sowjetischen Auftritt, in dem er dem Publikum versichert, dass er keinerlei Verantwortung für das skandalöse Programm trage.
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Aus der charmanten Komödie lässt sich eine Masse an Dingen herauslesen, die einem jene Zeit, drei Jahr nach Stalins Tod, vergegenwärtigen. Als erstklassig inszenierte Revue-Film war die Karnevalsnacht zweifellos als propagandistisches Gegenstück zu den Hollywood-Produktionen jener Zeit gedacht. Die charismatische Ludmilla Gurtschenko landete mit ihrem Filmsong "Pjat minut" ("Fünf Minuten") einen Hit, den noch heute jedes Kind kennt. Außerdem stammen auch aus diesem Film eine ganze Reihe von Zitaten, welche längst zu geflügelten Worten geworden sind.
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Hoffnung für nur "Pjat minut" fünf Minuten
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Hintergründig verkörpert der Film aber auch die ganze Hoffnung der Jungen, die gegen die Stalin-Generation rebelliert und auf etwas Neues und Freies hofft der Neujahrsbeginn trägt hier als Neubeginn eine doppelte Symbolik in sich. Obschon humorvoll verpackt und überzeichnet spiegelt das Werk Rjasanows treffend den tristen Charakter des stalinistischen Kulturalltags, der nach dem kurzen, "fünfminütigen" politischen Tauwetter unter Chruschtschew wieder zurückkehrte.(eva/.rufo)
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