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Andreas Schockenhoff, Russlandbeauftragter der Bundeskanzlerin (Foto: Mrozek/.rufo)
Andreas Schockenhoff, Russlandbeauftragter der Bundeskanzlerin (Foto: Mrozek/.rufo)

Schockenhoff: Gesellschaft ist dritte Säule (Teil 3)

Moskau. Dr.Andreas Schockenhoff, Russland-Beauftragter der Bundeskanzlerin vor der Deutsch-Russischen Aussenwirtschaftskammer in Moskau: "Mir scheint, dass große Teile der heutigen Wirtschaftseliten verstanden haben, dass Russland für seine Zukunftsfähigkeit in erster Linie zwei Dinge braucht: Investitionen - inländische und ausländische - und die Partizipation und freie Gestaltungsmöglichkeit einer gut ausgebildeten und engagierten Bevölkerung."

Dieser Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen wird gerade unter den jüngeren Wirtschaftseliten immer offener diskutiert. Ein Beispiel ist das jüngste Krasnojarsker Wirtschaftsforum, wo die Forderung im Mittelpunkt stand, dass der Staat in Krisenzeiten neben der Wirtschaft auch auf die Gesellschaft als „dritte Säule“ setzen müsse.

Schockenhoff-Rede Teil 1

Schockenhoff-Rede Teil 2

Schockenhoff-Rede Teil 3
Diese und viele andere Stimmen sind Grund genug, dass ich meine Hoffnungen weiter auf ein „Smart Russia“ setze, das die richtigen Weichen für seine Zukunft stellt.

Doch zurück zur Studie von McKinsey. Ihr zweites Kriterium ist eine verbesserte Rechtslage in Russland. Auch im Rechts- und Justizbereich, den der Präsident von Anfang an zur „Chefsache“ erklärt hat, bleibt die Situation widersprüchlich. Gerade hier gilt, was ich immer wieder beobachte, dass Russland sich in verschiedenen Geschwindigkeiten entwickelt.

Es gibt hoffnungsvolle Entwicklungen, im Wirtschaftsbereich oder im Strafvollzugssystem. Dem stehen jedoch besorgniserregende Entwicklungen gegenüber, u.a. die Einschränkung der Geschworenengerichtsbarkeit, die unaufgeklärten Morde an Journalisten und Menschenrechtlern, die Verschärfung von Strafen für Delikte im Zusammenhang mit terroristischen Akten, aber auch die neue Regelung für die Ernennung des Vorsitzenden des Verfassungsgerichts.

Vor allem bei einer Reihe von Strafverfahren drängt sich der Eindruck politischer Einflussname auf Staatsanwaltschaft oder Gerichte auf. Das bekannteste – wenn auch nicht einzige – Beispiel ist der Fall des früheren Yukos-Vorstandsvorsitzenden Michail Chodorkowski.

In Deutschland und insbesondere im Deutschen Bundestag besteht die Sorge, dass dieser Prozess nicht den rechtsstaatlichen Bedingungen entspricht, zu denen Russland sich verpflichtet hat. Das Verfahren wird als Testfall für die vom russischen Präsidenten angemahnte Glaubwürdigkeit der russischen Justiz gesehen. Das offene Ansprechen dieser Sorgen sehe ich als Unterstützung des Kurses des russischen Präsidenten im Kampf gegen „Rechtsnihilismus“ und für mehr Rechtsstaatlichkeit.

Zum dritten Kriterium besserer Wettbewerbsbedingungen. Wie im Rechtsbereich geht es auch hier nicht nur um ordnungspolitische Fragen. Grundsätzlich sehe ich Russlands Modernisierung nicht als technischen Prozess, sondern als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Für jedes der vier „I“ von Präsident Medwedew – Institutionen, Innovation, Investitionen und Infrastruktur - braucht Russland das aktive Engagement seiner Menschen. Modernisierung erfordert nicht nur Investitionen und know how. Modernisierung erfordert auch, dass der Staat freiheitliches Handeln und Gestalten sicherstellt durch Rechtsstaatlichkeit, durch deutlich weniger Korruption und Bürokratie, durch mehr Pluralismus in Politik und Gesellschaft.

Viele Erklärungen des Präsidenten deuten auf ein neues Verständnis im Verhältnis zwischen Staat und Bürger. So erklärte er in seinem Interview mit der „Nowaja Gazeta“, Russland sei erst dabei zu lernen, die Zivilgesellschaft als „die andere Seite des Staates“ zu akzeptieren. Die Zivilgesellschaft sei eine „feedback-Institution“ innerhalb des Staates, die „die sozial bewussten und aktiven Menschen“ vereine – besser kann es kaum definieren.

Auch hier ist die Bilanz bisher widersprüchlich, doch immerhin gibt es erste konkrete positive Signale, wie die Freilassung der Ex-Yukos Anwältin Swetlana Bachmina, die Mandatsverlängerung des Menschenrechtsbeauftragten Lukin, vor allem aber des „Rates für die Entwicklung von Zivilgesellschaft und Menschenrechten“ unter der Leitung von Ella Pamfilowa.

Das Wichtigste aber: nur zwei Monate nach seinem ersten Treffen mit dem Rat hat Präsident Medwedew einen Entwurf für ein überarbeitetes NGO-Gesetz in der Duma eingebracht, das die Vorschriften für die Registrierung und Kontrolle von Nicht-Regierungsorganisationen vereinfachen soll.

Eine substantielle Verbesserung des NGO-Gesetzes, die mir seit 2006 ein wichtiges Anliegen ist, ist der zweite Testfall für die Glaubwürdigkeit der vom russischen Präsidenten thematisierten Reformen.

Der NGO-Sektor ist die Basis eines sich entwickelnden Dritten Sektors in Russland, der für die Zukunft entscheidend ist. Ich gestehe, ich bin ein großer Fan nicht nur der deutschen, sondern besonders der jungen russischen „nicht-kommerziellen Organisationen“.

Mit beiden habe ich zum Thema zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit einen neuen Austausch angeregt, vor wenigen Wochen in Berlin und nun in Moskau, wo ich morgen die Mitglieder des sogenannten „Pamfilowa-Rates“ und andere russische NGO-Vertreter zu einer Expertenrunde eingeladen habe.

Ich kann Ihnen nur raten, einige Vertreter dieser bunten neuen Landschaft näher kennenzulernen. Mehr als die sogenannte russische Mittelklasse, die vorwiegend aus Staatsbeamten besteht, stehen sie für mich für das „private Aufblühen“, von dem der Schriftsteller Viktor Jerofejew spricht.

Seit den 90er Jahren, die heute von vielen nur als chaotisch und demütigend gesehen werden, war ein Netz von fast 500.000 NGOs entstanden. Davon sind 230.000 NGOs geblieben, die sich trotz erschwerter Rahmenbedingungen erstaunlich vital behauptet haben.

Für mich sind sie Ausdruck der Bereitschaft, wieder „von unten“ Mitverantwortung zu übernehmen, von der im „System Putin“ viel verloren gegangen ist, aber auch der Einstellung eines „Ich-will-auch-besser-leben“, die sich laut Viktor Jerofejew „aus dem Würgegriff des Staates befreit hat wie ein Huhn aus den Fängen des Bauers“.

Viele dieser Organisationen arbeiten heute weitgehend selbstständig, kompetent und professionell. Für deutsche Initiativen und Vereine sind sie oft anerkannte Projektpartner – gemeinsam bilden sie ein wichtiges Fundament der deutsch-russischen zwischengesellschaftlichen Zusammenarbeit.

Anders als oft angenommen, wird indes nur ein kleiner Teil – nur 8% - der russischen NGOs maßgeblich durch westliche Finanzgeber unterstützt. Die rechtliche Unsicherheit, der hohe bürokratische Aufwand und vor allem das offene Misstrauen der Behörden haben in den letzten Jahren wenig dazu beigetragen, zivilgesellschaftliche Engagement zu fördern.

Doch wie so oft in Russland, ist auch hier vieles trotzdem seinen Weg gegangen. Zumindest nimmt die Zahl hauptamtlicher und freiwilliger Mitarbeiter langsam, aber stetig zu.

Beeindruckend ist auch die Flexibilität, mit der viele russische NGOs auf die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen reagieren und ihre Tätigkeitsfelder erweitern. Noch sind nur 5% der Russen in zivilgesellschaftlichen Organisationen aktiv (in Deutschland ist es jeder dritte). Doch neue politische Rahmenbedingungen, in denen NGOs als Partner bzw. „Verbündete“ der politischen Führung angesehen werden, und eine neue Gesetzgebung, die gemeinnütziges Engagement fördert, könnten dies schnell ändern.

Parallel dazu hat auch das philanthropische Engagement in Russland in den letzten Jahren einen Aufschwung erlebt, der bei uns wenig bekannt ist.

Das russische Mäzenatentum, das im 19. Jahrhundert in den aristokratischen Familien und später in der altgläubigen Moskauer Kaufmannschaft eine Blüte erlebte, wurde in der kommunistischen Zeit völlig zerschlagen.

Doch mit der Wende lebte es wieder auf, auch wenn es oft mit einem zweifelhaften Image behaftet blieb, das mit Korruption, Schattenwirtschaft und Geldwäsche verbunden war. Der Fall Chodorkowski und eine verschärfte Gesetzgebung trugen weiter dazu bei, soziales Engagement zu marginalisieren.

Trotzdem machten vor der Krise Zuwendungen der „Corporate charity“ in Russland rund 1,5 Mrd. $ – nicht viel, wenn man an die Forbes-Liste denkt, aber ein vielfacher Anstieg im Vergleich zu den frühen 90er Jahren. Inzwischen gibt es 12 größere russische Privatstiftungen, die professionell und transparent arbeiten und vor der Krise zwischen 1- 36 Mio. $ jährlich für soziale und kulturelle Zwecke ausgaben, sowie Dutzende kleinere mit Budgets von einigen 10-100.000 US-$.

Bei vielen Unternehmern gehörte es bis vor kurzem zum guten Ton, sich ein gewisses Maß an „corporate social responsibility“ auf die Fahnen zu schreiben. Immer öfter setzten Firmen dabei auf eine Zusammenarbeit mit den nicht-kommerziellen Organisationen.

Dies unterstrich auch der Vorstandsvorsitzende von Sewerstal, Alexej Mordaschów, als er in diesem Jahr in Berlin den Dr. Friedrich Joseph Haass-Preis erhielt. Um die wichtigsten strategischen Probleme Russlands in Angriff zu nehmen, erklärte er, bedürfe es einer gemeinsamen Anstrengung von drei Seiten: von Staat, Privatwirtschaft und Non-Profit-Organisationen. Die Preissumme stiftete er einem von eben diesen drei Partnern getragen Projekt – einer Kinderstiftung in seiner Heimatstadt Tscherepówez.

Sie sehen: Auch in Russland beginnen Wirtschaft und Zivilgesellschaft sich als Partner zu sehen. Russland kann davon nur profitieren.

In Deutschland ist das funktionierende Dreieck Staat-Wirtschaft-Dritter Sektor unverzichtbar für das Funktionieren unseres Gemeinwesens.

Nach allen Studien ist der Dritte oder „Non-Profit-Sektor“ , der in Deutschland rund 6 Prozent des BIP ausmacht und ca. 1,4 Millionen Menschen beschäftigt, ein wesentlich effizienterer und flexiblerer Anbieter sozialer Dienstleistungen als staatliche Institutionen. Der Staat hat dies längst erkannt und setzt v.a. in der Sozialpolitik klar auf den Dritten Sektor als seinen wichtigsten Partner .

So lassen Sie mich zum Ende wiederholen: Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind für mich auch natürliche Partner für ein modernes Russland. Sie sind die Basis für ein „Smart Russia“! Aus diesem Grund ist mir eine bessere Vernetzung der deutschen Unternehmen mit dem – deutschen und russischen - NGO-Sektor ein besonderes Anliegen.

Noch gibt es meiner Ansicht nach zwischen unseren Wirtschaftsvertretungen und deutschen Stiftungen, Vereinen und Initiativen, die in Russland engagiert sind, zu wenige Berührungspunkte, manchmal sogar Vorurteile und Berührungsängste.

Deshalb möchte ich mit einigen konkreten Vorschlägen schließen:

1. Das bestehende „Fremdeln“ ist in erster Linie ein Problem der gegenseitigen Wahrnehmung. Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollten sich ebenfalls als „Verbündete“ sehen - mit einem gemeinsamen Anliegen und gemeinsamen Interessen. Die deutsche Wirtschaft sieht sich auch als Übermittler westlicher Standards und Normen – zu diesen gehört ebenfalls die Vernetzung mit einem kompetenten Dritten Sektor. Als „Koordinator“ sehe ich es als meine Aufgabe, genau diese Vernetzung zu unterstützen. Ein neues Forum soll mein neuer Newsletter sein, der „KO-RUS-KURIER“ , der seit diesem Monat per Internet Informationen über neue Initiativen und Möglichkeiten der zwischengesellschaftlichen Kooperation anbietet und den auch Sie in Bälde abrufen können.

2. Auch für die Zusammenarbeit mit russischen Stiftungen sollte die Krise als Chance genutzt werden. Nach Angaben des „Donors Forums“ in Moskau hatten Anfang 2009 rund 80% der russischen Unternehmen langfristige Pläne im Bereich „corporate social responsibility“. In knapperen Zeiten könnte vieles durch Synergieeffekte und „joint ventures“ auch im Stiftungsbereich gerettet werden.

Wie der Magnat Mordaschów in Berlin sagte, ist dieses Engagement gerade in Krisenzeiten „besonders relevant“. Internationale Studien zeigten, dass „sozial verantwortliche Unternehmen eine höhere Profitabilität und Wertsteigerung erzielen und weniger anfällig sind für die negativen Auswirkungen des globalen wirtschaftlichen Wandels“. Es ist sicher in unserem gemeinsamen Interesse, dieses Denken aktiv zu unterstützen.

3. Alles ist möglich. Das Spektrum gemeinsamer Projekte ist heute praktisch grenzenlos. Offiziell hat die russische Regierung die Themen Energieeffizienz, Gesundheit und Verwaltungsmodernisierung zu Kernbereichen der Zusammenarbeit mit Deutschland erhoben. Allein dies eröffnet eine breite Vielfalt neuer Themen- und Projektbereiche.

Vor allem im Umweltbereich, der in den letzten Putin-Jahren zunehmend marginalisiert wurde, ist zwischen den Umweltministern eine „neue Etappe der Kooperation“ eingeläutet worden. Gerade hier haben wir Deutschen einen klaren „Mehrwert“, der von direkter Relevanz für den NGO-Sektor ist. Wir haben nicht nur technisch viel zu bieten, sondern wissen vor allem, dass Umweltschutz nicht nur „von oben“ gemacht wird, sondern nur durch breites gesellschaftliches Umdenken, also auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu realisieren ist.

4. Besonders möchte ich am Ende noch einmal für eine lokale Zusammenarbeit von Unternehmen und gemeinnützigen Initiativen plädieren, d.h. in der konkreten Nachbarschaft und Umgebung, vor allem in den Regionen.

Dabei geht es meist nicht um spektakuläres Kultur-Sponsoring oder aufwändiges Eventmanagement, sondern um praktisches gesellschaftliches Engagement für und mit den Menschen „vor Ort“. Für praktisch jede Thematik und Region gibt es deutsche Vereine und Organisationen, die Kontakte, Kompetenz und Ortskunde zu bieten haben.

Dabei gibt es nichts, was es nicht gibt, wie ich in den letzten Jahren erlebt habe: direkte Sozialhilfe von „Tür zu Tür“, wie ein bekannter Verein heißt, Projekte für alte Kirchenmusik und neue Heiltherapien, Initiativen für jugendliche Strafgefangene, lokale Bibliotheken oder den Ausbau des sogenannten Great Baikal Trail, eines bereits 400 km langes Wanderwegenetzes, das von Freiwilligen gebaut, gepflegt und verbunden worden ist.

Lassen Sie sich inspirieren – ich helfe Ihnen gerne bei der Vermittlung von Information und Kontakten!



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