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Sanobar Schermatowa ist russische Expertin für Mittelasien und den Kaukasus (Foto: Schermatowa)
Sanobar Schermatowa ist russische Expertin für Mittelasien und den Kaukasus (Foto: Schermatowa)
Freitag, 09.02.2007

Turkmenistan: Opposition mitschuldig an Personenkult

Moskau. In Turkmenistan stehen nach dem Tod des Diktators Saparmurat Nijasow (Turkmenbaschi) Wahlen bevor. Russland-Aktuell fragte Mittelasien-Expertin Sanobar Schermatowa über Nijasows System und die Zukunft des Landes.

R-A: Wer war Nijasow? War er ein übler Diktator oder der Vater aller Turkmenen?

Schermatowa: Ein Teil der Bevölkerung, insbesondere die Opposition, meint, dass er ein Tyrann war, ein anderer Teil glaubt, dass er tatsächlich Vater war, der lehrte, wie man sich zu verhalten hatte. Das Buch Ruchnama, das von der Opposition verlacht wird, ist eigentlich nichts anderes als der „Domostroi“ (altrussische Sammlung von Anweisungen für die ideale Lebensführung). Im Gegensatz zum domostroi wird in der Ruchnama aber auch das turkmenische Volk verherrlicht und gepriesen, seine Kultur und Geschichte beschrieben. Mit Analogien aus der Geschichte bringt Turkmenbaschi seinen Lesern nahe, dass seine Herrschaft mit der Herrschaft eines Gottes vergleichbar ist. Das ist historisch gesehen nichts besonderes, denn alle Machthaber wurden früher vergöttert. Im Mittelalter hat man geglaubt, dass die Macht von Gott käme.

Politisches System Turkmeistans archaisch



R-A: Was für ein System von persönlichen Abhängigkeiten hat er geschaffen? Kann so ein System seinen Tod überleben oder verschwindet es mit ihm?

Schermatowa: Tatsächlich hat er ein System von Abhängigkeiten und der persönlichen Macht geschaffen. Aber auch diese absolute Macht ist nichts exklusiv turkmenisches, sondern vergleichbar z.B. mit Ludwig XIV. oder den mittelasiatischen Khanen, die ebenfalls absolutistisch herrschten. Das Regime passt nicht in den Rahmen moderner Standards, weil es archaisch ist. Solche geschlossenen Regime können nur dann überleben, wenn sie eine finanzielle Stütze haben. Man kann sich dieses Regime nicht ohne Gas vorstellen – ohne Gas gebe es keinen Turkmenbaschi. Turkmenistan wäre gezwungen, sich zu öffnen, wie Tadschikistan oder Kirgisien, die das in gewissem Maße getan haben. Hinzu kommt ein subjektiver Faktor: Das System Turkmenbaschi wurde nicht nur von ihm selbst aufgebaut

R-A: Von wem noch?

Schermatowa: Von seiner Umgebung. Es ist nicht vorstellbar, dass in Kasachstan oder Kirgisien Beamte die Hand ihres Präsidenten küssen würden. Aber in Turkmenistan passierte das. Sich einen Menschen vorzustellen, der einen Kirgisen dazu bringt, sich zu verbeugen und die Hand des Präsidenten zu küssen, ist schwer vorstellbar.

R-A: D.h. in Turkmenistan sind die Menschen traditionell devoter, unterwürfiger?

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Schermatowa: Ja, es gibt diese Mentalität, keinen Widerstand zu leisten. Jeder Machthaber, der keinen Widerstand seiner Umgebung, seines Volkes bei der Machtausübung spürt, wird dies ausnutzen. Das liegt in der Natur des Menschen. Je mehr du hast, desto mehr willst du. Aber an dem Aufbau des Systems haben nicht nur die Traditionen Turkmenistans schuld, sondern auch einige Personen aus der Umgebung Turkmenbaschis, die ihm Anfang der 90er Jahre eingeflößt haben, dass er sehr vermögend sei und nirgendwohin müsse. „Die anderen kommen von selbst angekrochen, denn alle brauchen Gas“, sagten sie. Der Neutralitätsstatus des Landes wurde erdacht, um die Exklusivität des Landes zu betonen.

Jetzige Opposition hat Personenkult Nijasows einst begünstigt



R-A: Wer sind die Personen, die ihn anfangs so erhöht haben? Sind das seine Nachfolger in der jetzigen Regierung oder sind es Vertreter der Opposition?

Schermatowa: Das sind diejenigen, die in die Opposition gegangen sind, die in den Gefängnissen sitzen. Sie haben ihren Anteil an dem Personenkult um Turkmenbaschi. Einer von ihnen ist Boris Schachmuradow. Er hat große Anstrengungen unternommen, um Nijasow selbst und allen anderen einzuflößen, dass dieser Personenkult nötig sei. Er hat das Regime als Außenminister und Vize-Premier unterstützt.

Anfang der 90er Jahre als Turkmenistan an einer eigenen Verfassung arbeitete, sprach Nijasow davon, eine demokratische Gesellschaft aufzubauen. Er hat in der Zeit unter dem Einfluss der Gorbatschow-Perestroika die alten Parteilosungen gegen demokratische ausgetauscht. Natürlich konnte von einer echten Demokratisierung keine Rede sein, aber die Lexik gab es immerhin. Von Personenkult war keine Rede. Die Mitglieder der Verfassungskommission gerieten in Panik und haben Nijasow von einer demokratischen Verfassung abgeraten und schließlich umgestimmt.

R-A: Wann ist Nijasow gestorben?

Schermatowa: Ich glaube, dass diejenigen Recht haben, die behaupten, dass er früher gestorben ist. Möglicherweise drei Tage vorher, wie es behauptet wird. Aber es gibt auch keine Anzeichen, dass es ein gewaltsamer Tod war. Er hatte bekanntlich Probleme mit der Gesundheit. Wie schätzen Sie die jetzige Führung ein? Gibt es dort einen Machtkampf, wie es von außen scheint?

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Eigentlich beginnt die Geschichte Turkmenistans erst jetzt wirklich. Denn unter Turkmenbaschi gab es nur eine nominale, unselbständige Partei – hervorgegangen aus der KP Turkmenistans. Die Entscheidungen jedoch wurden allein von ihm selbst getroffen. Das ist eine einmalige Erscheinung in Mittelasien. Das können sich nicht einmal Islam Karimow oder Emomali Rachmonow erlauben, geschweige denn, dass es in Kasachstan oder Kirgisien möglich wäre. Dort gibt es ein politisches System, mag es auch noch so schwach und ineffektiv sein. In Turkmenistan gab es das nicht, daher wird es jetzt erschaffen. Ich habe den Eindruck, dass es gar keinen politischen Machtkampf gibt.

R-A: Aber es wurde doch jemand verhaftet?

Schermatowa: Das ist kein Machtkampf. Es gibt dort keine Gruppierungen, die um die Macht kämpfen. Dort gibt es eine starke Figur: Akmurat Redschepow, den Leiter der Leibwache von Turkmenbaschi. Er war lange zusammen mit Turkmenbaschi, hat die Führungsschule des KGB in Moskau abgeschlossen. Er kennt alle Geheimnisse des turkmenischen Hofes. Er hat sofort die Geschicke des Landes in seine Hände genommen. Es wurde ein Plan erstellt. Für diesen hat er einige wichtige Figuren gewonnen, da er allein nicht handeln kann. Eine dieser Figuren ist Vize-Premier Gurbanguly Berdymuhammedow. Er gilt als Nachfolger Turkmenbaschis, obwohl er selbst als relativ schwach eingeschätzt wird. Er wird eine Präsentationsfunktion haben, doch hinter den Kulissen wird wohl Akmurat Redschepow das Land lenken.

Leibwächter Nijasows wird zum neuen starken Mann in Aschchabad



Gleich nach Nijasows Tod wurden entschiedene Schritte unternommen. Es wurde die Grenze nach Usbekistan dicht gemacht, denn aus Usbekistan sickerte 2002 Boris Schachmuradow nach Turkmenistan ein, um Nijasow abzusetzen. Seitdem sind die Beziehungen zwischen beiden Ländern stark abgekühlt, obwohl im vergangenen Jahr eine Art „Waffenstillstand“ geschlossen wurde. Zweitens wurden alle Konsulate geschlossen, damit niemand ins Land kommen kann, das gleiche Ziel verfolgte die Schließung des Luftraums über Turkmenien.

Auch die gut organisierte Beerdigung zeugt von einer gewissen Vorbereitungszeit. Es gab Listen, in welcher Reihenfolge die Trauergäste ans Grab treten, Fradkow war der erste ausländische Staatsmann. Das Volk wurde aufgereiht zu einem zehn Kilometer langen Trauerspalier. Das alles zeugt von einer guten Organisation, vor allem wenn man bedenkt, dass Turkmenistan bislang keine Erfahrungen mit Staatsbegräbnissen hat.

Da wird eine durchgreifende Hand fühlbar und eben diese harte Hand entschied, dass nicht der Parlamentsvorsitzende – wie es die Verfassung vorsieht – zum Nachfolger Nijasows wird, sondern eine ganz andere Person. Der Parlamentschef wurde verhaftet, uns wurde gesagt, dass noch zu Nijasows Zeiten ein Verfahren gegen ihn eingeleitet wurde. Das ist schwer nachzuprüfen. Aber es ist eindeutig ein politischer Schritt. Es wurde die Verfassung geändert, damit der Vize-Premier die Amtsgeschäfte des Präsidenten ausüben kann und gleichzeitig für das Präsidentschaftsamt kandidieren.

Spiel mit der Demokratie - ein Fortschritt gegenüber der Vergangenheit



R-A: Nun gibt es alternative Wahlen. Haben sich die Machthaber entschlossen, „Demokratie“ zu spielen?

Schermatowa: Ja, das haben sie und das ist ein sehr interessanter Fakt. Es gab überhaupt nur einmal Wahlen unter Turkmenbaschi und die waren ohne Gegenkandidaten. Nun gibt es alternative Wahlen und das zeugt davon, dass es ein anderes Land geworden ist. Das Regime ist natürlich weiter geschlossen, die Opposition wird wohl nicht zugelassen. Doch trotz allem zeigen sich Veränderungen. Turkmenbaschi hat das Wort Demokratie am Ende überhaupt nicht mehr in den Mund genommen, der gesamte Staat war auf den Prinzipien der „Ruchnama“ aufgebaut. Allein Demokratie zu spielen, bedeutet schon einen gewissen Wandel.

R-A: Werden sie ausländische Beobachter zulassen?

Schermatowa: Die Regierung hat schon erklärt, dass OSZE-Beobachter zugelassen werden. Zu verlieren haben sie nichts. Es sind 6 Kandidaten, aber es ist klar, dass nur einer – der amtierende Präsident Berdymuhammedow - Chancen auf den Sieg hat. Er wird die administrativen Ressourcen bekommen und ausnutzen. Jedem Turkmenen ist klar, wen er zu wählen hat, er stimmt für denjenigen, der bestimmt wird.

R-A: Wer sind die fünf Gegenkandidaten?

Schermatowa: Einer ist Vize-Minister für Gas, ein anderer Verwaltungsleiter einer Region, d.h. es sind alles Figuren nicht einmal der zweiten, sondern der dritten Reihe. Im östlichen Verständnis gibt es gewisse Ratings, nach denen ein Mensch höher steht als ein anderer. Kriterien sind z.B. die Zugehörigkeit zu einem Stamm oder die Position. Nimmt man all diese Komponenten zusammen, so erscheint der jetzige Vize-Premier als der Kandidat mit der höchsten Autorität. Jedem Turkmenen ist klar, wer der solideste und würdigste Mensch ist, um Präsident zu werden. Daher sind Demokratiespiele ohne echte Opposition völlig ungefährlich

R-A: Ist dies dennoch der Anfang der Entwicklung zur Demokratie?

Schermatowa: Es ist der Anfang der Modernisierung, eher noch der Aufbau eines Systems überhaupt. Turkmenistan ist sehr weit weg von einer demokratischen Gesellschaft. Es ist eine traditionelle Gesellschaft, es gibt hier zahlreiche Institutionen, die das Aufkommen von Demokratie behindern – historische Wurzeln, Mentalität. In Turkmenistan gab es bislang eine absolute Monarchie und jetzt muss das politische Feld erst einmal strukturiert werden.



Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews über die Gasexportpläne Turkmenistans. Wer kommt zum Zug: Russland, Europa oder China?


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