Kommentare, Glossen, Hintergründiges
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| 30-08-2004 Schlagseite |
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Tschetschenien: Echte Wahlen, echte Macht?
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 Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Angeblich drei Viertel der Tschetschenen stimmten für den bisherigen Innenminister Alu Alchanow. Wie schon bei früheren Wahlen dort war der Urnengang nur ein Formalakt zur Bestätigung einer Wahl des Kremls durch das abstimmende Volk. In westlich-demokratisch geübten Augen sieht das lästerlich aus.
Doch in einem von zehn Jahren Krieg zerrütteten Land gibt es Wichtigeres als die Einhaltung fairer Spielregeln bei der Bestimmung der Verwaltungsspitze: Die Hauptsache ist Frieden.
Eine demokratische Prozedur waren diese Wahlen von vornherein nicht: Gegenkandidaten mit Aussicht auf Erfolg wurden im Vorfeld aus dem Rennen geworfen, die verbliebenen Konkurrenten hatten auch nicht annähernd die gleichen Möglichkeiten zur Agitation wie Alchanow. Wer wollte oder sollte, konnte in verschiedenen Wahllokalen mehrfach abstimmen – denn den Behörden ist jede Stimme lieb. Unabhängige Beobachter berichten von fast leeren Wahllokalen. Dennoch soll die Wahlbeteiligung 85 Prozent betragen haben.
Die Wahl-Farce bewies immerhin, dass der Kreml, der mächtige Kadyrow-Sohn Ramsan und die lokalen Autoritäten an einem Strang ziehen. Es gibt also ein eindeutiges Machtzentrum; Tschetschenien wird nicht auch noch im Streit von Clans oder Interessengruppen zerrieben. Für die kriegsmüde Bevölkerung bietet das die Hoffnung, dass so das Morden irgendwann einmal aufhört.
Keine Verhandlungen: Kadyrows Kurs gilt weiter
Alchanow schwört, der Strategie seines Vorgängers Kadyrow treu zu bleiben: Die Separatisten werden ausgegrenzt, jegliche Verhandlungen abgelehnt. Parallel gibt es Zuckerbrot und Peitsche: Wer freiwillig die Waffen niederlegt und auf die Seiten der Behörden wechselt, darf in den Alltag zurück, solange ihm keine Terrorakte oder Kapitalverbrechen anlasten. Wer nicht, bekommt irgendwann eine Kugel in den Kopf.
Die Schlagkraft des Widerstandes hat dieses kaukasische Standrecht bislang aber nicht zerstört: Die Überfälle auf Inguschetien und unlängst auf Grosny bewiesen, dass der Untergrund noch immer zu koordinierten Großangriffen nach Partisanenmanier fähig ist. Und mit den Kamikaze-Frauen in den beiden Tupolews haben die „Wahhabiten“ dem Terror erst vor wenigen Tagen eine neue Dimension eröffnet. Verhandlungen mit Leuten, die zu solchem Wahnsinn fähig sind, verbieten sich in der Tat.
Tschetschenien sehnt sich nach einem zivilen Leben. Die Freigabe von Funktelefonen für jedermann und auch die internationalen Fußball-Siege von „Terek Grosny“ scheinen wie erfreuliche Vorzeichen einer normalen Zukunft. Die Einnahmen aus tschetschenischem Öl sollen in Zukunft im Lande bleiben, versprach Putin Alchanow.
Doch um die Spirale von Terror und Gegenterror anzuhalten, braucht der neue Präsident mehr als nur Petro-Rubel – nämlich Autorität. Er muss nicht nur die Separatisten bändigen, sondern auch für Recht und Ordnung im Handeln der Armee, der Miliz und der „Präsidenten-Garde“ von Kadyrow-junior sorgen. Bei dieser Frage entscheidet sich, ob Alchanows Macht genauso nur auf dem Papier steht wie seine demokratische Legitimation.
(ld/rufo)
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