Von Wladimir Martynow, Moskau. Es war nachts, kurz nach eins, als wir zu viert in der Metrostation standen. Wir hatten nur wenig getrunken, die Stimmung war dennoch ausgelassen. Plötzlich fand eines der Mädchen, dass es doch ganz toll wäre, beim Fahrer vorn mitzufahren. Der Wunsch einer Dame ist in Russland immer noch Gesetz.
Besonders, wenn die Dame Tanja heisst und der bescheidene Wunsch am Tag der Heiligen Tatjana geäussert wird, dem Feiertag aller russischen Studenten und Tanjas.
Als der Zug kam, bestürmten mein Freund und ich den Lokführer, uns doch vorn in der Fahrerkabine mitzunehmen. Der zeigte uns den Vogel: „Ich bin doch nicht verrückt. Hier gibt es überall Überwachungskameras. Ich handle mir doch wegen so etwas keine Probleme ein.“
Doch wir blieben hartnäckig. „Es ist doch schon spät, es guckt keiner zu. Außerdem: Heute ist doch Tatjana-Tag. Können Sie nicht mal eine Ausnahme für unsere Tanja machen?“
Er konnte.
Zu fünft drängelten wir uns in die Kabine. Wir fuhren nur eine Station weit, aber es war die aufregendste U-Bahn-Fahrt unseres Lebens. Wir schossen in den Tunnel hinein. Die Scheinwerfer leuchteten den Schacht weit aus. Nach knapp zwei Minuten sahen wir dann aus der Ferne ein Gegenlicht. Die Station kam uns entgegen oder vielmehr wir näherten uns ihr.
Die Metro hielt und wir stiegen aus. Es war das erste Mal, das ich bedauerte, nicht an der Endstation zu wohnen. Dennoch gingen wir in bester Laune nach Hause. Tief unter der Erde waren wir einen Moment im siebten Himmel gewesen.
Auch unter der Erde kann die Freiheit wohl fast grenzenlos sein. Und das geschriebene Gesetz ist auch hier nicht immer stärker als das ungeschriebene. Noch eine Besonderheit der russischen Metro. Manchmal.
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