Von Lothar Deeg. Bisher war der Geburtstag Adolf Hitlers nicht unbedingt ein Datum, dem in diplomatischen Kreisen besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. In Moskau ist das anders: Mehrere Botschaften warnten ihre Landsleute vor drohenden Übergriffen von Skinheads. Die kahlköpfigen Schläger kündigten den Diplomaten per e-mail an, dass sie zur Feier des 20. April über Ausländer herfallen werden.
Von den rechtsradikalen Schlägertrupps fühlen sich vor allem Bürger aus anderen GUS-Republiken bedroht. In einem gemeinsamen Schreiben an das russische Außenministerium drückten die Vertretungen von Aserbaidschan, Armenien, Kasachstan, Kirgisien, Tadschikistan, Usbekistan und Georgien jetzt ihre Besorgnis über die zunehmenden Umtriebe der Skinheads aus. An öffentlichen Orten, besonders aber auf Märkten, in der Metro und in Diskotheken sei Gesundheit und Sicherheit von „Menschen nichtslawischen Aussehens“ wegen ausländerfeindlicher Jugendbanden zunehmend in Gefahr.
Aber auch die amerikanische und die japanische Botschaft mahnten bereits ihre in Moskau lebenden Landsleute zur Vorsicht. Nächtliche Spaziergänge, die Nähe zu Fußballstadien und Ansammlungen verdächtiger Jugendlicher solle man besser meiden. Besonders vor Hitlers Geburtstag sei bei extremistischen Gruppierungen mit besonderer Aggressivität zu rechnen, so die US-Botschaft. Der amerikanische Vertretung protestierte bereits wegen einer Attacke auf eine Gruppe von US-Bürgern, die am 7. April auf dem Roten Platz und auf dem alten Arbat, Moskaus Haupt-Flaniermeile, von Skinheads angefallen wurden.
Am Tag darauf hatte US-Botschafter Alexander Wershbow von einer Skinhead-Gruppe eine E-mail erhalten, in der zum 20. April weitere Überfälle angekündigt wurden. Auch die Vertretungen von Indien und den Philippinen erhielten solche elektronischen Drohbriefe. Den Japanern kündigte ein gewisser „Iwan, Vertreter einer Skinhead-Gruppe“ an, die russischen Neonazis würden anlässlich dieses Datums „alle Ausländer erschlagen, die ihnen unter die Augen kommen“ und empfahl ihnen, rechtzeitig das Land zu verlassen.
Am 21. April letzten Jahres hatten Rechtsradikale einen Moskauer Markt verwüstet und zahlreiche Menschen verprügelt. In russischen Städten sind Märkte meist eine Domäne von Händlern aus dem Kaukasus und Zentralasien. Ein halbes Jahr später gab es drei Tote, als 200 bis 300 Schläger über einen Markt an der Metrostation Zarizyno herfielen.
In letzter Zeit häufen sich in und um Moskau „individuelle“ brutale Attacken jugendlicher Schläger auf Ausländer. Anfang April wurden zwei Männer aus Mittelasien unter einer Brücke mit Baseballschlägern erschlagen. Der Polizei gelang es, kurz darauf die zwei mutmaßlichen Täter festzunehmen: einen 15- und einen 22-Jährigen. Als Tatmotiv nannten die Ordnungshüter „Rowdytum“. Einen Tag zuvor war in Moskau ein dunkelhäutiger Mann aus Madagaskar von vier Kahlköpfen im Eingang seines Wohnhauses mit Eisenrohren krankenhausreif worden. Ein junger Russe, der einschreiten wollte, bekam ebenfalls einen schweren Schlag auf die Stirn. Kurz zuvor hatten Skinheads zwei Obdachlose zu Tode geprügelt und in einer Fußgängerunterführung einen aus Aserbaidschan gebürtigen Mann niedergestochen und beraubt. Das Opfer, ein russischer Staatsbürger, starb noch am Tatort.
Doch dies sind nur die Fälle, bei denen die Polizei der Gewalttäter schnell habhaft wurde – und deshalb umgehend die Presse informierte. Wieviele rassistisch motivierte Überfälle unaufgeklärt bleiben oder gar nicht erst aktenkundig werden, steht auf einem anderen Blatt. Russlands „Miliz“ ist dafür berüchtigt, Anzeigen von Kriminalitätsopfern erst gar nicht aufzunehmen, wenn ihr der Fall hoffnungslos erscheint - sonst würde ja die Aufklärungs-Quote des Reviers leiden. Auch sind die Ordnungshüter bisher wenig geneigt, in den Skinhead-Banden eine organisierte Bewegung zu sehen. Zwar werden deren Umtriebe jetzt verschärft observiert. Doch Moskaus Polizeichef Wladimir Pronin erklärte noch vor kurzem, „rasierte Köpfe und Schals sind Attribute der Fußballfan-Bewegung, der sich heute Jugendliche gerne anschließen“.
Auch der Kiewer Pogrom vom Samstag wurde von den dortigen Ordnungshütern nach der Festnahme einiger Beteiligter als „schweres Rowdytum von Fußballfans“ gewertet. 50 Kahlköpfige waren nach einem Spiel vom Stadion zur Hauptsynagoge der ukrainischen Hauptstadt gezogen. Sie riefen antisemitische Parolen, warfen mit Steinen die Fenster ein und versuchten einzudringen. Einige Angehörige der jüdischen Gemeinde wurden verletzt, darunter auch ein Rabbiner. Der Vorsitzende des Jüdischen Kongresses der Ukraine, Wadim Rabinowitsch, widersprach der Polizei: „Offensichtlich war das nicht jugendliches Rowdytum, sondern das Werk von erwachsenen Menschen, die kämpfen wollen.“ Ob sich „der erste Pogrom seit der ukrainischen Unabhängigkeit“ wiederholen könne, hänge nun von der Reaktion der politischen Öffentlichkeit des Landes ab, sagte er der „Iswestija“. |