Von Oldag Caspar (Moskau). Im Nebenzimmer wartete bereits ein Mitarbeiter der russischen Sparkasse mit dem Geldkoffer. Auf einer Presseveranstaltung haben am Freitag in Moskau die ersten im Zweiten Weltkrieg nach Deutschland verschleppten russischen Zwangsarbeiter Entschädigungszahlungen erhalten. „Auf dieses Zeichen haben sie lange warten müssen”, sagte Michael Jansen, Chef der deutschen Zwangsarbeiterstiftung, zu den zehn eingeladenen früheren KZ-Häftlingen. Landesweit sollen innerhalb der nächsten zehn Tage die ersten 2000 russischen Opfer der nationalsozialistischen Verschleppung ihre Entschädigungszahlungen bei den Sparkassen abholen können
„Die russische Regierung hat uns versprochen, die Briefe an die ersten Empfänger der Zahlungen mit spezieller Regierungseilpost zu verschicken“, sagte Jansen nach der Veranstaltung gegenüber www.Aktuell.RU. Die Zeit drängt. 60 Jahre nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion warten in Russland nach Regierungsangaben vermutlich noch 400.000 Menschen auf eine Entschädigung. 5 Millionen waren einst verschleppt worden.
Immer wieder hatte es Verzögerungen bei der Auszahlung der Entschädigung gegeben. Jahrelang warteten die deutschen Unternehmen auf eine Abschmetterung der Sammelklagen, die wegen des erlittenen Unrechts in den USA gegen sie liefen. Erst diese Klagen hatten den Prozess überhaupt ins Rollen gebracht, der schließlich zur Verabschiedung des deutschen Stifungsgesetzes durch den Bundestag im August 2000 führte.
Russland ist nun das letzte osteuropäische Land, in dem die Auszahlungen beginnen. Diese waren zuletzt durch innerrussische Probleme erneut verzögert worden. Zuerst tauschte Präsident Wladimir Putin die Spitze der russischen Stiftung „Verständigung und Versöhnung“ wegen dem Vorwurf der Misswirtschaft aus. Dann tauchten Vermutungen auf, die Auszahlungen müssten nach russischem Recht besteuert werden. Auch diese Frage scheint mittlerweile gelöst. „Es gibt kein Steuerproblem mehr“, sagte Arbeitsminister Alexander Potschinok auf der Veranstaltung am Freitag. Nun muss noch die Duma nach der Sommerpause diesem Regierungsversprechen nachkommen und ein Gesetz zur Steuerbefreiung erlassen.
Der 31. August sei ein historischer Tag für Russland und Deutschland, sagte die Vorstandsvorsitzende der russischen Stiftung Ljudmilla Narusowa bei der Veranstaltung im Moskauer Haus der Völkerfreundschaft. „Das neue Jahrhundert beginnt eigentlich heute, denn mit diesem Tag ziehen wir einen Strich unter die verheerenden Kriege, die Deutschland und Russland im letzten Jahrhundert erlebten.“
Doch zu den Worten der Versöhnung gab es am Freitag auch Kritik. Es sei bitter, dass erst so spät gezahlt wird, sagten mehrere ehemalige KZ-Häftlinge. Auch die Auszahlung in zwei Raten stieß auf Kritik. „Wir hätten das Geld, das uns zusteht, gerne gleich“, sagte die Betroffene Irina Charina. „Viele von uns können nicht mehr Jahre auf die zweite Rate warten.“ Die deutsche Zwangsarbeiterstiftung will die zweite Rate erst ab Mitte 2002 auszahlen, wenn feststeht, wievielen Menschen insgesamt Entschädigung zusteht. Falls mehr Anträge als angenommen eingehen, wird im zweiten Schritt an die einzelnen Empfänger wahrscheinlich weniger ausgezahlt.
Auch Fjodor Solodownik konnte sich am Freitag nicht nur freuen. „Heute ist für mich ein Tag großer Freude – aber auch großer Trauer“, sagte er in die ein Dutzend Fernsehkameras. Er sei sehr enttäuscht darüber, daß keine Entschädigung an die überlebenden Kriegsgefangenen gehe. „Wir waren als KZ-Häftlinge mit ihnen in den selben Lagern. Es gibt keine Unterschiede.“
Den ehemaligen Gefangenen der Konzentrationslager steht eine Entschädigung in Höhe von 15.000 Mark zu. Arbeitern in deutschen Industriebetrieben und auf Bauernhöfen erhalten bedeutend weniger. Zunächst will die deutsche Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ jedoch abwarten, ob das Geld für die ersten 2000 Empfänger auch bei jenen ankommt. Dann wird an die anderen schon jetzt berechtigten ausgezahlt.
Als die feierliche Übergabe von Urkunden und Geld am Freitag schließlich zu Ende geht, sitzen im Vorraum des Festsaales im Haus der Völkerfreundschaft zwei gelangweilte Sanitäter. Den alten Menschen im Saal war trotz des für die Veranstalter unerwartet großen Journalistenandrangs nichts passiert. |