Von Gisbert Mrozek, Moskau. Die Kursk-Untersuchungskomission ist der Wahrheit schon dicht auf den Fersen. „Wir sind kurz vor dem Moment, wo wir die Ursachen der Katastrofe verstehen, aber es ist noch zu früh für endgültige Schlussfolgerungen“, sagte Vizepremier Ilja Klebanow, der die Untersuchungen leitet. Auf jeden Fall sei klar, dass die Kursk-Katastrofe „zu tun habe mit der Explosion eines Torpedos. Es gelang aber noch nicht, zu verstehen, warum der Torpedo detonierte.“ Die Untersuchungskomission bleibt damit bisher immer noch auf dem Wege zwischen Notlüge und Wahrheit stehen – auch wenn sie schon dicht an der Wahrheit ist. Ursprünglich war von der Flottenführung behauptet worden, die Kursk sei durch eine deutsche Weltkriegsmine oder ein Nato-U-Boot versenkt worden. Später wurde (durch Artikel bei Moskau.ru) ein FSB-Bericht an Putin bekannt, nach dem die Kursk von einer Rakete des Atomkreuzers „Peter der Grosse“ getroffen wurde. Die Flottenführung dementierte anfangs heftig, dann wurden die Dementis immer schwächer. Im vergangenen Herbst wurde die gesamte Nordmeerflottenführung wegen schwerer Fehler bei der Planung und Durchführung des Manövers und bei den Bergungsarbeiten von Putin entlassen. Im Amt blieb als einziger von den für die Katastrofe Verantwortlichen Flottenkommandeur Kurojedow selbst – vorläufig. Wenn es zur Stunde der Wahrheit kommen sollte, in der Ilja Klebanow oder Putin selbst die endgültigen Ergebnisse der Untersuchung vorstellen, wird auch Kurojedow gehen müssen, trotz seiner guten persönlichen Beziehungen zu Putin. Die Schockwellen, die ein ungeschönter Abschlussbericht auslösen würde, würden mit Sicherheit auch noch weitere Spitzenmilitärs aus dem Stand heben. Denn schliesslich stellt sich, sofort nachdem die Frage beantwortet wurde, warum der erste Torpedo auf der Kursk explodierte, die nächste Frage: Warum traf eine Rakete der Peter der Grosse die Kursk ? Warum wurde sie abgefeuert ? Die Stunde der Wahrheit dürfte also noch auf sich warten lassen – auch wenn Ilja Klebanow gestern erklärte, dass der endgültige Plan zur Bergung der Kursk-Bugsektion im Sommer 2002 noch im Januar verabschiedet werden soll. Die von den Explosionen völlig zerstörte Bugsektion war im Herbst 2001 abgesägt worden, um zunächst den Rest des Wracks zu heben. Die Bergung soll von der Marine und russischen Firmen durchgeführt werden. Es sollen aber auch ausländische Bergungsunternehmen angeheuert werden. „Man kann heute schon fast mit Sicherheit sagen, dass nicht die gesamte Bugsektion gehoben wird, sondern nur einzelne Fragmente, insbesondere nicht explodierte Torpedoteile“, erklärte Ilja Klebanow. Nach Informationen aus gewöhnlich gut informierten Kreisen ist tatsächlich die Bergung der Bugsektion für die Wahrheitsfindung bereits unerheblich. Anhand der schon längst geborgenen Fragmente konnten Fachleute im vergangenen Herbst feststellen, dass die Aussenhaut der Kursk durch eine starke „Druck- und Hitzeeinwirkung“ von aussen zerstört wurde. Damit wurden alle früheren Erkenntnisse bestätigt. Alle weiteren Bergungsaktionen sind demnach eigentlich für die Wahrheitsfindung fast überflüssig. Sie sind aber nicht nur ein Spiel auf Zeit, eine Gnadenfrist für Flottenoffiziere, Manövrierraum für Putin. Wie Ilja Klebanow gestern sagte: Es geht um die Wahrheit über die Katastrofe und um die Sicherheit für Schiffahrt. Die Bergung der Torpedoreste ist auch für Mensch und Umwelt in der Barentssee wünschenswert.
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