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20-01-2002 Politik

Schichtwechsel im Kreml

A. Woloschin (Foto: Chworostow/.rufo)Von Gisbert Mrozek, Moskau. Seit die russische Generalstaatsanwaltschaft sich auch mit dem Leiter der Präsidentenadministration, Alexander Woloschin, beschäftigt, scheint die lang erwartete Schlussrunde im Kampf um den Kreml eingeläutet zu sein. Seit seinem Amtsantritt ersetzte Wladimir Putin von Jelzin übernommene Spitzenbeamte systematisch durch seine eigene Seilschaft.

Mittlerweile konnte Putin seine eigene Hausmacht installieren. Innenminister, Verteidigungsminister und Geheimdienstchef sind Putins Gefolgsleute. Die größten Finanzströme des Landes kontrolliert inzwischen Putins Vertrauensmann an der Spitze des Konzerns Gasprom. An die Spitze des Föderationsrates rückte ein Putin-Freund aus Petersburg. Aber die mächtigste Figur auf dem Schachbrett blieb dabei trotz allem Alexander Woloschin, der von seiner Position im Kreml aus starken Einfluss auf Personalpolitik und Strategie hat.

Woloschin ist außer Premierminister Michail Kassjanow die letzte Bastion der Jelzin-Familie an der russischen Staatsspitze, nachdem zum Jahresende Eisenbahnminister Nikolai Aksjonenko wegen einiger Korruptionsaffären gefeuert wurde. Auch Woloschin ist mittlerweile schon dicht umstellt von Putins Gefolgsleuten. Für die Personalpolitik im Kreml ist der Petersburger Ex-KGB-Offizier Viktor Iwanow zuständig. Putins persönliches Sekretariat wird von dem Petersburger Igor Setschin geleitet.

Seit Anfang des Jahres heißt es nun, Woloschins Tage im Kreml seien gezählt. Ein sicheres Anzeichen dafür sei die Verhaftung seines persönlichen Beraters, des Geschäftsmannes Wjatscheslaw Aminow. Aminow wurde angeblich arrettiert, als er einen FSB-General bestechen wollte. Er soll seit Jahren „Kompromat“ über Spitzenpolitiker und Beamte in seinem Safe gesammelt haben – der jetzt dem FSB offensteht. Aminow habe auch säuberlich dokumentiert, wie er selbst 1997 zum Amtsantritt Woloschins im Kreml zur Feier des Tages im Auftrag des Geschäftsmannes Beresowski dem frischgebackenen obersten Kreml-Apparatschik einige minderjährige Strichmädchen zugeführt habe, behaupten Moskauer Zeitungen – ohne aber bisher den Beweis dafür anzutreten.

Mit ähnlichem Kompromat waren in den vergangenen Jahren bereits Justizminister Kowaljow und Generalstaatsanwalt Skuratow „erledigt“ worden. Die Methode ist durchaus üblich: Zu Weihnachten wurden unter den Moskauer Ladentischen Videos verkauft, die den TV-Star-Moderator Kisseljow bei Orgien zeigten.

Ernster als der verleumderische Schlag unter die Gürtellinie ist aber für Alexander Woloschin die Anfrage einiger Duma-Abgeordneten an die Staatsanwaltschaft. Sie enthält genug Material, um Woloschin aus den zahlreichen Sünden seiner Vergangenheit einen Strick zu drehen. Er habe in den 90iger Jahren mindestens 80 Millionen Euro beiseite geschafft, heißt es da. Darüber war auch schon früher gemunkelt worden. Der Unterschied ist jetzt der, dass der mächtige Chef der Kremladministration es nicht mehr verhindern kann, dass auch in großen Tageszeitungen darüber berichtet wird. Die Intonation entspricht dabei den Worten Putins bei seinem Staatsbesuch in Paris: „Wer bei uns den Nachbarn einen Sack Kartoffeln klaut, wird eingebuchtet. Wer aber Millionen entwendet, der ist schon ein Politiker.“ Das Sündenregister seines Administrationschefs, das jetzt die Staatsanwaltschaft durchleuchtet, ist ansehnlich.

1991 gründete Woloschin zusammen mit dem Moskauer Mafiosi Otari Kwantrischwili, der später erschossen wurde, die Firma „Inter-Öko-Tschernobyl“, gegen die schon 1992 wegen Spirituosen- und Edelmetallschmuggel ermittelt wurde. Nach den Direktoren fahndete Interpol.

1993 wurde Alexander Woloschin von Boris Beresowski zum Direktor von vier Firmen ernannt, die sich u.a. mit dem Ex- und Import von Ladas beschäftigten. Die Geschäftsidee, die Millionen einbrachte, bestand darin, die Absurdität zu nutzen, dass exportierte und dann re-importierte Ladas erheblich billiger waren, als direkt im Lande verkaufte. Nicht ganz legal war dabei, dass Beresowski nicht die Autos, sondern nur die Fahrzeugpapiere exportierte, um den Preisunterschied von 2000 Dollar pro Auto zu kassieren.

Das nächste große Beresowskij-Woloschin-Projekt hieß „Awwa“: Finanziert über Privateinlagen von russischen Sparern sollte ein Pkw-Montagewerk errichtet werden. Als Chef-Finanzberater der Moskauer Tschara-Bank sorgte Woloschin dafür, dass die Bank bei Beresowski für sechs Millionen Euro Awwa-Aktien kaufte. Woloschin verdiente dabei selbst auch noch, weil das Geschäft über seine Firma Esta Corp. abgewickelt wurde. Im Ergebnis wurde kein einziges Awwa-Auto montiert, die Tschara-Bank war pleite, betrogene Moskauer Anleger demonstrierten, der Tschara-Direktor erhängte sich – und Woloschin stieg weiter auf.

1995 und 1996 nutzte Woloschin seine Qualifikation im Wertpapiergeschäft, um ganz an die Spitze des russischen Business vorzustoßen. Die von ihm gegründete Firma FFK wurde Hauptveranstalter der Wertpapier-Auktionen, über die Staatsbetriebe privatisiert wurden. Nach Angaben des Parlamentarischen Rechnungshofes veranstaltete Woloschin im Staatsauftrag 61 Auktionen, auf denen für 8.728.955.000.000 Rubel Aktien verkauft wurden. Woloschins FFK verdiente dabei 83 Mio. Dollar an Komission – nach Berechnungen des Rechnungshofes waren das 55 Mio. zuviel.

Die Duma-Abgeordneten können der Staatsanwaltschaft sogar schon mit der Bankverbindung aushelfen, über die der Schwarze Gewinn verschoben wurde: Am 31.5.1996 eröffnete demnach die Moskauer Guta-Bank in ihrer Filiale auf den Bahamas das Konto Nr. 300000120201 für die Londoner Firma Glinford Financial Services ltd, London, Sidney Str, 102, deren Direktor Woloschin war. Diese Angaben wurden zumindest auf dem nicht-öffentlichen Kapitalfluchthearing der Duma im März 2001 gemacht. Kurz danach gab es eine erste Welle von Gerüchten über den bevorstehenden Woloschin-Rücktritt.

Das Wichtigste an den Aktien-Verkäufen im Jahre 1995 war aber, dass Woloschin – gesetzeswidrig, wie der Rechnungshof notiert - dafür sorgte, dass Boris Beresowski und dessen Partner Roman Abramowitsch den Ölkonzern „Sibneft“ günstig übernehmen konnten. Sibneft ist die drittgrößte russische Ölgesellschaft. Bereswoski, der damals zum Küchenkabinett Jelzins gehörte, empfahl jedenfalls seinen Partner Woloschin weiter. Im November 1997 wurde er zunächst Wirtschaftsberater des Chefs der Präsidentenadministration Valentin Jumaschew, dann 1998 Stellvertreter Jumaschews und schliesslich im März 1999 selbst Chef des Kreml-Apparates.

Alexander Staljewitsch Woloschin diente erst noch fast ein Jahr lang treu dem Präsidenten Jelzin, dann führte er kompetent und loyal die Geschäfte Putins – ohne die eigenen Interessen zu vergessen. Und er erboste mit seinem Eigensinn immer mehr die neue Petersburger Gefolgschaft des Präsidenten. Seit einiger Zeit geht auch Putin auf Abstand: Nur da, wo das Protokoll es fordert, darf sich Woloschin noch an seiner Seite zeigen.

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