Moskau/Kiew. Kaum waren gestern abend die Kompromissvereinbarungen unterschrieben, wurden sie von der Opposition wieder entwertet. Vereinbart worden war: Gewaltverzicht, politische Reform, Warten auf das Urteil des Obersten Gerichtes und Aufhebung der Blockade von Regierungseinrichtungen. Aber die Opposition will die Blockade nicht beenden, bevor die Regierung nicht zurückgetreten ist. Juschtschenko lehnt erneut Neuwahlen ab.
Wie schon am vergangenen Freitag verlas : Leonid Kutschma nach stundenlangen Verhandlungen im Marienpalast in Kiew eine gemeinsame Erklärung, die von allen Anwesenden unterschrieben worden war. Wie schon am vergangenen Freitag reichten sich zur Bekräftigung Viktor Janukowitsch und Viktor Juschtschenko sogar lächelnd die Hand.
Juschtschenko eilte sogleich auf die Oppositionskundgebung, um über den Verlauf der Verhandlungen zu berichten. Kutschma und Janukowitsch hätten komplette Neuwahlen vorgeschlagen, sagte Juschtschenko. Er habe das aber abgelehnt. Er werde auf Wiederholung der Stichwahl beharren. „Wir haben erklärt, wenn auch weiterhin über Neuwahlen diskutiert wird, sehen wir in diesen Verhandlungen keinen Sinn“, sagte Juschtschenko.
Der Unterschied zwischen Neuwahlen und Stichwahl-Wiederholung
Der Unterschied zwischen Neuwahlen und Stichwahl-Wiederholung ist, dass bei Neuwahlen auch neue, aussichtsreiche Kandidaten antreten könnten, die das Dilemma Janukowitsch/Juschtschenko aufbrechen könnten. Im Gespräch ist zum Beispiel der Nationalbankchef : Sergej Tigipko. Janukowitsch hat bereits angekündigt, dass er möglicherweise nicht mehr kandidieren würde. Die Situation bei Neuwahlen wäre auch deswegen völlig verändert, weil sie sich drei Monate lang hinzieht. Mit Neuwahlen wäre also das Patt Juschtschenko/Janukowitsch aufgehoben.
Neuwahlen als Ausweg aus der Krise wurden auch von internationalen Vermittlern wie dem aussenpolitischen EU-Komissar Solana, dem russischen Duma-Chef Gryslow oder auch Gerhard Schröder und Wladimir Putin empfohlen.
Neuwahlen sind auch deswegen der wahrscheinlichere Ausweg, weil in der ukrainischen Wahlgesetzgebung Wiederholung nur der Stichwahl nicht vorgesehen ist.
Bei den gestrigen Verhandlungen wurde allerdings vereinbart, das Wahlgesetz zu reformieren. Im Laufe von 24 Stunden nachdem das Oberste Gericht entschieden haben wird, ob die Stichwahl gültig war oder nicht, sollen Janukowitsch und Juschtschenko Details der Wahlprozedur aushandeln. Dies scheint ziemlich aussichtslos, aber so lauten die bis jetzt bekannten Informationen aus Kiew.
Das gestern ausgehandelte Kompromisspaket dürfte aber schon vorher entwertet werden, weil die Opposition die Blockade der Regierungseinrichtungen nicht wie vereinbart aufheben will, solange Janukowitsch nicht zurückgetreten ist.
„Wenn der Premier sein Arbeitszimmer räumt, heben wir die Blockade auf“
„Wenn der Premier sein Arbeitszimmer räumt, heben wir die Blockade auf“, erklärte Oppositionssprecher Pjotr Poroschenko. „Die Regierung ist entlassen. Wenn die Regierung dies nicht anerkennt, zeugt dies nur von ihrer Unkenntnis der Gesetze. Wir sichern die Einhaltung der Gesetze ab.“
Die Rada hatte gestern mit Drei-Stimmen-Mehrheit die Entlassung der Regierung beschlossen. Janukowitsch hatte darauf erklären lassen, er werde erst gehen, wenn Kutschma die Entlassung gegengezeichnet hat. Ein Veto des Präsidenten müsse von der Rada mit 2/3-Mehrheit überwunden werden.
Der tschechische Premierminister Vaclav Klaus warnte gestern abend davor, die Regierung zu stürzen und damit die Ukraine in Chaos zu treiben. Es könne nicht angehen, sagte Klaus, dass in der gegenwärtigen Situation die Ukraine ganz ohne Regierung dastehe.
Ohne internationale Vermittlung geht in Kiew nichts mehr
An den Verhandlungen gestern hatten erneut dieselben internationalen Vermittler teilgenommen, wie auch schon am vergangenen Freitag: EU-Komissar Solana, OSZE-Generalsekretär Kubisch, Polens Präsident Kwasniewski, Litauens Präsident Adamkus und der russische Duma-Vorsitzende Gryslow.
Vor Beginn der Gespräche hatte es auch telefonische Konsultationen zwischen Schröder und Putin sowie zwischen US-Aussenminister Powell und dem russischen Aussenminister Lawrow gegeben.
Schröder und Putin sind sich einig
Schröder und Putin hatten mitteilen lassen, sie seien sich einig, dass das Ergebnis einer Wahlwiederholung, die auf der Basis der ukrainischen Verfassung stattfindet und den politischen Willen des ukrainischen Volkes widerspiegelt, strikt zu respektieren sei.
(gim/.rufo)
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