Moskau/Krasnojarsk/Nischnij Nowgorod. Dramatisches Halb-Finale bei den Gouverneurswahlen in Krasnojarsk, bei der es um die Kontrolle über ein Sechstel Russlands geht: Erst anullierte er über Nacht das Wahlergebnis, dann erlitt der Vorsitzende der Wahlkomission einen Herzinfarkt. Der Wahlsieger Alexander Chloponin wird vom Oligarchen Wladimir Potanin (Norilsk-Nickel) und den Kommunisten unterstützt. Der unterlegene Alexander Uss von dem Jelzin-nahen Aluminium-König Deripaska. Im Chaos endeten auch die Wahlen in Nischnij Nowgorod, wo der Kreml-Kandidat zu unterliegen drohte. Immer offensichtlicher werden in Russland Wahlergebnisse "korrigiert". Vor der Wahl, bei der Wahl und hinterher.
Am Sonntagabend gegen 22:30 zogen plötzlich dichte Rauchschwaden durch das Gebäude in Nischnij Nowgorod, in dem die Wahlkomission die Stimmen der zweiten Runde in den Bürgermeisterwahlen zählte. Die Auszählung konnte nach kurzfristiger Unterbrechung aber weitergehen. Am Morgen stand dann fest, dass der Kreml-Kandidat, der auch vom Generalgouverneur des Wolga-Gebietes Sergei Kirijenko unterstützt wird, knapp gesiegt hatte.
Wadim Bulawinow erreichte 34,97 Prozent, der bisher amtierende Bürgermeister, Jurij Lebedew kam nur auf 34,59 Prozent. Das ist eine Differenz von nur einigen hundert Stimmen. "Gegen alle Kandidaten" stimmten 29,45 Prozent der Wähler - Anhänger des halbseidenen Bürgermeisterkandidaten Andrej Klimentjew, der in der ersten Runde ausgeschieden war.
Aber auch dieses knappe Ergebnis kann nicht in Kraft treten, weil Wadim Bulawinow - in Erwartung eines für ihn schlechteren Ergebnisses - per Gericht durchgesetzt hatte, dass die Wahlkomission abgesetzt wird. Bulawinow zog zwar am Montagmorgen dann seine Klage zurück. Dafür reichte aber der jetzt knapp unterlegene Amtsinhaber Jurij Lebedew eine Beschwere ein.
Besondere politische Brisanz bekommt die Situation in der Industriestadt Nischnij Nowgorod, besonders deshalb, weil der ehrgeizige Sergei Kirijenko sie als Sprungbrett für seine weitere Karriere betrachtet und auf jeden Fall einen Mann seines Vertrauens im Bürgermeisteramt sehen will.
Um noch höheren Einsatz wurde in Krasnojarsk gespielt.
Die Entscheidung der Krasnojarsker Wahlkomission kam am Sonntagabend wie aus heiterem Himmel. Eigentlich hätte die Wahlkomission das Ergebnis nur noch endgültig absegnen müssen. Danach hätte der Wahlsieger, der junge Alexander Chloponin, Gouverneur des Autonomen Verwaltungsgebietes Taimyr an der Eismeerküste, sein Amt schnell antreten wollen.
Damit wäre der jahrelange politische Krieg um die Kontrolle des an Bodenschätzen reichen sibirischen Gebietes zumindest vorläufig entschieden gewesen. Chloponin geniesst, wie es nicht anders sein kann, die massive Unterstützung des Moskauer Oligarchen Wladimir Potanin und dessen Konzerns Interross.
Potanin kontrolliert seit 1996, als er noch der Jelzin-Familie nahe stand, die Platin und Nickel-Vorkommen in Norilsk, die zu den reichsten der Welt gehören. Potanin wurde seit langem nachgesagt, sein Ziel sei es, im Verein mit seinem alten Freund Anatolij Tschubais, auch die gigantische Aluminium-Hütte bei Krasnojarsk, die reichen Kohlegruben und Eisenerzvorkommen unter Kontrolle zu bringen.
Den Plänen Potanins standen aber die Interessen des nicht minder einflussreichen jungen Aluminium-Oligarchen Oleg Deripaska im Wege, dem es gelungen war, die Aktienmehrheit der Krasnojarsker Alu-Hütte seinem Konzern Sib-Alu einzuverleiben. Deripasskos unternehmerischer Karriere hatte es auch geholfen, dass er die Tochter des Jelzin-Administrationschefs Wladimir Jumaschew, Polina geheiratet hatte – während Jumaschew wiederum in dritter Ehe die Jelzin-Tochter Tatjana zur Frau nahm.
Sowohl Potanin als auch Deripaska stand lange Zeit der ehrgeizige „Generalgouverneur“ Alexander Lebed im Wege. Nach dessen Tod bei einem Hubschrauberabsturz flammte der Streit erneut auf.
Deripaska unterstützte bei den Gouverneurswahlen den Kandidaten Alexander Uss. Auch der ehemalige Besitzer der Krasnojarsker Alu-Hütte, Anatolij Bykow - Unterweltboss und Intimfeind Alexander Lebeds - , setzte auf Uss.
Bei den Wahlen stimmten der Süden und die Städte für Uss, der Norden und die Dörfer für Chloponin.
Den Ausschlag für Chloponin brachte, dass der nur knapp aus dem Rennen ausgeschiedene Kandidat der Kommunisten Sergei Glasew aufrief, für ihn zu stimmen.
Nach seinem knappen Wahlsieg hatte sich denn auch Alexander Chloponin nach Moskau begeben, um dort mit den wichtigsten Clans die nötigen Absprachen zu treffen. Die Entscheidung der Wahlkomission erreichte ihn auf der prominenten Datschensiedlung im Dorf Schukowka.
In ersten Interviews erklärte Chloponin, er glaube fest, dass Russland ein Rechtsstaat sei und dass alles schliesslich mit rechten Dingen zugehen werde. Er halte die Entscheidung der Wahlkomission auch deswegen für unverantwortlich, weil es darum gehe, noch vor Einbruch des Winters Brennstoff- und Nahrungsmittelvorräte in den Norden zu schaffen und Lohn- und Gehaltsschulden auszuzahlen.
Sergei Glasew forderte Putin auf, einzugreifen und Chloponin jetzt zum Gouverneur auf Zeit zu ernennen, damit das Gebiet Krasnojarsk nicht noch einige Monate lang ohne Verwaltungsspitze bleibe.
Die Entscheidung der Wahlkomission, Neuwahlen für den März 2003 anzusetzen, wiederspricht den russischen Gesetzen, die in solchen Fällen eine Frist von maximal 3 Monaten bis zu Neuwahlen vorsehen.
Die Wahlkomission will schwere Verstösse gegen die Wahlordnung festgestellt haben. Es sei versucht worden, Wählerstimmen zu kaufen.
Anatolij Bykow erklärte, er habe mit dem Skandal nichts zu tun. Es handele sich um einen Streit, den wohl Potanin und Deripassko untereinander ausmachen müssten.
Putin wird wohl ein Machtwort sprechen müssen. Interessant wird, wie er sich entscheidet.
(rUFO/gim) |