Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Nur 19 Tage vor den Präsidentenwahlen in Russland hat Wladimir Putin die Regierung unter Ministerpräsident Michail Kassjanow entlassen. Wie Putin in einer Fernsehansprache erklärte, wolle er damit den Wählern die Möglichkeit geben, sich ein Bild von jenen Personen zu machen, denen er für die nächsten Jahre die Leitung des Staates anvertrauen werde. Noch ist aber unklar, ob der als amtierender Regierungs-Chef eingesetzte Viktor Christenko länger auf diesem Posten bleiben soll.
Putin sagte, seine Entscheidung habe nichts mit einer Bewertung der bisherigen Regierungsmannschaft zu tun, deren Arbeit er als „insgesamt befriedigend“ einstufe. Auf irgendwelche Dankesworte für den gechassten Kassjanow verzichtete Putin allerdings. Diplomatisch gesehen also ein harter Rauswurf für den Premier, der nun während des restlichen Wahlkampfes wohl auch noch als Sündenbock für alle sozialen und wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten wird herhalten müssen.
Michail Kassjanow hatte der Regierung seit Putins Wahl im Frühjahr 2000 vorgestanden – für Russland eine ungewohnt lange Amtszeit. Kassjanow galt als Vertreter der „Familie“, wie der einflussreiche Klüngel um den vorherigen Präsidenten Boris Jelzin genannt wurde. Gegenüber den anderen Seilschaften wie den „Machtmenschen“, den „Petersburgern“ und den „Reformern“ , die im Gefolge Putins alle ihren Einfluss in der Staatsführung stärkten, verlor die „Familie“ unter Putin aber zunehmend an Bedeutung.
In Russland war deshalb schon lange damit gerechnet worden, dass Kassjanow von Putin entlassen wird – aber erst nach den Wahlen. Putins Entscheidung kam so für den ganzen Regierungsapparat völlig überrraschend. Die überrumpelten Minister beeilten sich aber prompt, die Klugheit von Putin zu preisen. „Es ist ehrlich, dem Volk jene Mannchaft zu zeigen, mit der die nächsten vier Jahre arbeiten will“, so Bildungsminister Wladimir Fillipow. „Ich wusste von nichts, aber das ist ein richtiger Schritt“, meinte Eisenbahnminister Gennadi Fadejew.
Mit Ausnahme Kassjanows leiten die Minister ihre Ämter kommissarisch weiter. Zum amtierenden Regierungs-Chef ernannte Putin den bisherigen Viktor Christenko (46). Bei dem schon seit 1998 in dieser Funktion arbeitenden Wirtschafts- und Finanzfachmann aus Tscheljabinsk handelt es sich aber möglicherweise nur um eine Übergangsfigur, der das Funktionieren der Regierung nur über die Wahlen hinweg zu gewährleisten hat. Schließlich wird der neue Premierminister auch als Putins erste Wahl für seinen Wunschnachfolger nach den Wahlen 2008 gelten. In dieser Rolle sah man bislang eher Verteidigungsminister Sergej Iwanow, der wie Putin seine Karriere im Sowjet-Geheimdienst KGB begonnen hatte. Andererseits war es auch eine Kreml-typische Personal-Überraschung, als der bis dato weitgehend unbekannte Putin im Sommer 1999 von Jelzin zum Regierungs-Chef und Wunsch-Erben ernannt wurde.
Gemäß der russischen Verfassung muss die Regierung nach der Wahl eines neuen Präsidenten zurücktreten. Dieser schlägt dem Parlament dann seinen Wunschkandidaten für das Amt des Regierungsvorsitzenden vor, der nach seiner Bestätigung durch die Duma die neue Regierung formiert. Dieser Vorgang wird nun schon vor den Wahlen stattfinden – und danach noch einmal. Was Kritiker nun als riskanten Pferdewechsel mitten in der Furt sehen, soll laut Putin verhindern, dass es in der Exekutive während der sonst langwierigen Regierungsbildung zu Ungewissheiten kommt und das vorgegebene Arbeitstempo, etwa bei der begonnenen Verwaltungsreform, leide. Um das zu verhindern, muss Putin nun aber innerhalb einiger Tage Klarheit schaffen, wer in seiner zweiten Amtszeit für welche Aufgaben zuständig sein soll.
Ähnlich überrascht wie das Kabinett wurden Putins Gegenkandidaten bei der Präsidentenwahl. Der Kommunist Nikolaj Charitonow sprach von einer „PR-Aktion“, die Wirtschaftsliberale Irina Chakamada von einem Schlag für die Stabilität im Lande. Die Tatsache, dass Putin mit der Bestallung einer neuen Regierungsmannschaft vorpresche, zeige, dass er sich weder über die Wahlbeteiligung noch über das Ergebnis sicher sei. Die Demoskopen sehen das gegenwärtig allerdings anders: Laut Umfragen führt der Amtsinhaber gegenwärtig mit 70 Prozent, der beste Konkurrent kommt auf gerade einmal 4 Prozent. Daran wird sich nur noch wenig ändern: Denn während nun die Konkurrenten-Schar weiter aufgeregt Wahlkampf zu treiben versucht, wird Putin sich zur gleichen Zeit souverän mit der hehren Aufgabe der Regierungsbildung beschäftigen.
(ld/.rufo)
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