Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Eigentlich schien das Thema EU-Osterweiterung auch für Russland schon lange abgehakt zu sein. Doch knapp zwei Monate vor dem Termin am 1. Mai gibt es zwischen Brüssel und Moskau doch noch massiven Streit wegen des Beitritts der zehn Neumitglieder: In Brüssel sprach man bei einem Außenministertreffen gar von Wirtschaftsanktionen, wenn Russland weiterhin auf Sonderkonditionen in den Beziehungen zu seinen ehemaligen Satelliten in Osteuropa besteht.
„Mit Hochachtung und Aufmerksamkeit“ verfolge Moskau die Erweiterung der EU, sagte Präsident Wladimir Putin noch Anfang Februar dem italienischen Außenminister Franco Frattini im Kreml. Tatsächlich ließ das Ausgreifen der Europäischen Union auf die Ex-Sowjetrepubliken Litauen, Lettland und Estland sowie auf die einstigen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn die Russen lange Zeit ziemlich kalt – anders als die schrittweise Erweiterung der Nato in Richtung Osten.
Doch je näher der Stichtag der EU-Vergrößerung von 15 auf 25 Staaten rückt, umso mehr bemerkte man in Russland auch Probleme und Nachteile, die damit verbunden sind: Bisherige günstige Handelsbedingungen für russische Exporte in diese Länder sind mit den EU-internen Regeln nicht vereinbar. So würde auf bislang zollfrei verkauftes russisches Aluminium in Zukunft eine Abgabe von 6 Prozent fällig, berichtet die Moskauer Zeitung „Kommersant“. Außerdem fürchtet Russland um seinen fast monopolistischen Absatzmarkt bei Energieliefungen nach Osteuropa, da die Neumitglieder verpflichtet seien, „einseitige Abhängigkeiten“ zu minimieren. Gleichzeitig muss Russland manche Importzölle, etwa für Agrarprodukte aus dem Baltikum, senken. Insgesamt reichten die Russen in Brüssel eine Liste aus 14 Punkten ein, bei denen sie Bedarf für Kompensationen oder Übergangsregeleungen sehen. Die entsprechenden russischen Verluste aus der EU-Osterweiterung werden mit 300 Millionen Euro jährlich veranschlagt.
Deshalb weigert sich Russland gegenwärtig, einer pauschalen Ausdehnung des 1997 geschlossenen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU auf die Neumitglieder zuzustimmen. Das bedeutet, Russland würde diese Staaten ab 1. Mai nicht als vollwertige EU-Mitglieder mit allen Rechten, Pflichten und Standards anerkennen, wie sie auch bei den Altmitglieder der Union gegeben sind.
Den Europäern erscheint dies als Affront und eine Einmischung in das Selbstbestimmungsrecht jener Staaten, die sich für die EU-Mitgliedschaft entschieden haben. Entsprechend harsch fiel am Montag in Brüssel ein Kommunique der EU-Außenminister aus: Sie forderten von Moskau die Ausdehnung des Abkommens „ohne Vorbedingungen“ auf alle Neumitglieder, andernfalls sei mit „schwerwiegenden Konsequenzen für die europäisch-russischen Beziehungen im Allgemeinen“ zu rechnen. Inoffiziell ließ man auch durchblicken, wie diese Folgen aussehen könnten: Von der Aufkündigung des Partnerschaftsabkommens bis hin zu Handelssanktionen war die Rede. Die Russen „benehmen sich ziemlich schlecht, und deshalb geben wir ihnen ein deutliches Signal“, so ein EU-Offizieller.
Ein Defizit an Umgangsformen moniert Brüssel schon länger nicht nur im Verhältnis mit der EU, sondern auch bei den demokratischen Spielregeln: Menschenrechtsverletzungen und Pseudo-Wahlen in Tschetschenien, die Gleichschaltung von Medien in der politischen Berichterstattung und schließlich Fälle von Auftragsjustiz wie bei den geballten Ermittlungsverfahren gegen den Yukos-Konzern werden Moskau immer wieder vorgehalten. Allerdings hatte dies bislang für Russlands Westbeziehungen wenig Folgen: Vor allem die Regierungen Deutschlands, Italiens und Frankreichs waren gerne geneigt, über derartige Defizite großzügig hinwegzusehen, um nur nicht die durchaus freundschaftlichen bilateralen Beziehungen mit Putins Reich zu belasten.
Die „anonyme“ EU wird dagegen nun mit Russland einen zähen Kampf um die Beitrittsbedingungen auszufechten haben. Momentan dominieren erst einmal starke Worte: „Wir sprechen nicht auf Basis von Ultimaten“, antwortete das russische Außenministerium verschnupft in Richtung Brüssel. Und der außenpolitische Putin-Berater Sergej Prochodko sprach dieser Tage der EU sogar sein „Beileid“ zum Beitritt der Baltenrepubliken aus: „Nun sind die litauischen Nationalisten euer Problem und nicht unseres. Und ihr und nicht wir müssen der lettischen Regierung erklären, dass die Schließung russischsprachiger Schulen gegen alle Gesetze und Normen verstößt“, sagte er gallig dem „Sunday Telegraph“ in einem Interview.
Der nahe 1. Mai wird deswegen aber kaum zum Beginn eines Kalten Handelskrieges: Vize-Außenminister Wladimir Tschischow zeigte sich auf einer Tagung in Berlin weit weniger knorzig als seine Behörde: Er deutete an, dass Russland das Partnerschaftsabkommen erst einmal befristet bis Juni auch auf die zehn Neumitglieder ausdehnen würde, um Zeit für weitere Verhandlungen zu gewinnen. Die EU-Außenminister signalisierten ihrerseits die Bereitschaft, auch weiterhin über Russlands Schmerzpunkte reden zu wollen. Ein echter Konfrontationskurs gegenüber der EU wäre für Russland ohnehin volkswirtschaftlicher Selbstmord: Nach der Osterweiterung entfallen ca. 45 Prozent des russischen Außenhandels auf die EU-Staaten. Aber auch in Westeuropa würde es ohne russisches Erdgas sehr schnell sehr ungemütlich.
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