Von Lothar Deeg, St. Petersburg. In Georgien beginnt der Aufbau einer Staatsordnung der Nach-Schewardnadse-Ära: Am 4. Januar 2004 wird ein neuer Staatspräsident gewählt. Dies beschloss heute das alte, 1999 gewählte Parlament, dass in Tiflis zu einer Sitzung zusammentrat. Von den 235 Abgeordneten waren 158 anwesend. Unterdessen nehmen die Minister aus Schewardnadses Regierung reihenweise den Hut – und das Oberste Gericht annullierte die umstrittenen Parlamentswahlen vom 2. November.
Übergangspräsidentin Nino Burdshanadse hat laut Verfassung nicht die Kompetenz, Kabinettsmitglieder zu entlassen. Sanfter Druck und Einsicht in die neuen Machtverhältnisse sorgen aber dafür, dass Schewardnadses wichtigste Mitstreiter selbst die Posten räumen: Heute trat Staatsminister Awtandil Dshorbenadse zurück. Er folgte damit dem Beispiel des Innenministers Koba Nartschemaschwili, der gestern nach einem Gespräch mit Burdshanadse seinen Rücktritt erklärt hatte.
Das Oberste Gericht der Republik gab heute einer Klage von Burdshanadses Partei auf Annullierung der offiziellen Wahlergebnisse der Parlamentswahlen vom 2. November statt. Diese Entscheidung betrifft aber nur die Wahlen nach Parteilisten. Die Wahlen der Wahlkreisabgeordneten bleiben vorerst in Kraft. Massive Fälschungen bei den Parlamentswahlen hatten die Anhänger der Opposition zu wochenlangen Demonstrationen auf die Straßen getrieben, die schließlich am Wochenende mit der Besetzung des Parlaments und dem Rücktritt des langjährigen Staats-Chefs Eduard Schewardnadse endeten. Neuwahlen des Parlaments, ursprünglich die Hauptforderung der Opposition, wurden aber bislang nicht angesetzt.
Die Spekulationen um den Aufenthaltsort des prominenten Politikers sind inzwischen abgeflaut: Nachdem gestern noch das Gerücht die Runde machte, Schewardnadses Privatjet sei in Baden-Baden gelandet, trat der Ex-Präsident in einem ZDF-Fernsehinterview in Tiflis auf und dankte Deutschland für das angebotene Exil. „Ungeachtet dessen, dass ich Deutschland liebe, meine Heimat ist doch Georgien und ich bin verpflichtet, hier zu bleiben“, sagte Schewardnadse.
Heute gab es dann Berichte lokaler Medien, Schewardnadse sei der Zugang zu seinem alten Büro verweigert worden, wo er persönliche Unterlagen abholen wollte. Doch auch diese Information erwies sich als Ente. Schewardnadse hält sich nach wie vor in jener Regierungsresidenz am Stadtrand auf, wo er am Sonntag Abend seine Niederlage in dem Machtkampf eingestanden hatte. Nach Angaben der „Iswestija“ wird der einstige sowjetische Außenminister dort von einer 30 Mann starken Leibwache beschützt.
Als erster potentieller Kandidat für das Amt des neuen Staatsoberhauptes meldete heute in Moskau der Ex-Geheimdienstchef des Landes, Igor Georgadse, seine Ansprüche an. Um in Georgien persönlich Wahlkampf zu führen, müsste allerdings erst ein Haftbefehl gegen Georgadse aufgehoben werden, der als Organisator eines Mordanschlages auf Schewardnadse gesucht wurde. Er habe keine Probleme mit dem Staat oder dem Gesetz gehabt, sondern nur persönlich mit Schewardnadse, so Georgadse. Es gilt jedoch als sicher, dass auch die beiden populären Jung-Politiker Michail Saakaschwili und Nino Burdshanadse, die den Aufstand gegen Schewardnadse angeführt hatten, bei den Wahlen antreten werden.
Während im Zentrum von Tiflis von zahlreichen Freiwilligen die Spuren des Umsturzes und der Tag und Nacht anhaltenden Siegesfeiern beseitigt wurden, verschärften sich die Spannungen mit der quasi-autonomen Teilrepublik Adsharien. Dort wurde heute vom Parlament der Ausnahmezustand verhängt. Adshariens Präsident Aslan Abaschidse hatte mit Schewardnadse paktiert und diesen bis zuletzt gestützt. Als Reaktion auf den Machtwechsel in Tiflis ließ Abaschidse die Grenzen schließen und brach „alle Beziehungen zu jenen Personen, die durch einen Staatsstreich an die Macht gekommen sind“ ab.
Die Selbstblockade der Schwarzmeerprovinz gilt vorerst allerdings nur bis zur Wahl eines neuen georgischen Präsidenten. Wie der „Kommersant“ heute schreibt, ist die gedämpfte Reaktion Adshariens ein letztes Resultat der Vermittlungsmission des russischen Außenministers Igor Iwanow. Der war am Sonntag nach Schewardnadses Rücktritt sofort in die adsharische Hauptstadt Batumi geflogen, um Abaschidse von krassen Schritten wie der Verkündigung der Unabhängigkeit abzuhalten.
Bezeichnend für die Machtverhältnisse in Georgien ist, dass heute die Führer Adshariens und der ebenfalls faktisch abgekoppelten Teilrepublik Südossetien zu Beratungen über die weitere Entwicklung in Georgien nach Moskau reisten. In den nächsten Tagen wird auch der Premierminister der nach einem Bürgerkrieg für unabhängig erklärten Teilrepublik Abchasien in der russischen Hauptstadt erwartet. Abchasien und Südossetien streben einen Anschluss an Russland an. Moskaus Einfluss auf die neue Elite in Tiflis gilt dagegen als eher gering. Sie orientiert sich trotz der jetzt besonders häufigen Appelle um eine gute Nachbarschaft und der georgischen Abhängigkeit von russischer Energie eindeutig an den USA.
(ld/.rufo)
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