Moskau. Sensationen blieben ebenso aus wie öffentliche Hinrichtungen einzelner Funktionsträger: Putin zeigte in seiner traditionellen jährlichen Rede vor beiden Parlamentskammern – die letzte vor den nächsten Duma- und Präsidentenwahlen – dafür schon wahlkämpferische Anklänge. Hauptsächlich ging es aber um Aufgaben in der Wirtschaftspolitik. Nur wenn Russland wirtschaftlich deutlich gefestigt werde, könne es die erstrebte Rolle einer der führenden Mächte der Welt einnehmen, so der Präsident.
Zum Abschluss seiner Rede zur Lage der Nation nannte der Präsident drei ambitiöse Hauptziele, deren Umsetzung bis zum Jahre 2010 zu schaffen sein sollte: Eine Verdoppelung des Bruttoinlandsprodukts, die Beseitigung der Armut im Lande und die Modernisierung der Armee.
Putin warnte davor, sich mit dem erreichten Wirtschaftswachstum von 4 bis 6 Prozent pro Jahr zufrieden zu geben. Dies sei zu einem großen Teil nur einer für Russland günstigen Weltwirtschaftslage zu verdanken. Doch die hohen Ölpreise der letzten Jahre seien „nicht ewig“. Russland stehe vor ernsthaften Bedrohungen, denen es in seinem momentanen Zustand nicht gewachsen sei. „Obwohl unser wirtschaftliches Fundament schon bedeutend fester geworden ist, ist es noch immer instabil und schwach. Der Staatsapparat ist ineffektiv und der Großteil der Wirtschaftsbranchen nicht konkurrenzfähig“, kritisierte Putin.
Nach drei Jahren im Amt und ein Jahr vor den im Frühjahr 2004 anstehenden Neuwahlen ließ Putin allerdings auch eine Aufzählung der wirtschaftlichen Erfolge nicht aus, die Russland während seiner Amtszeit erreicht habe. Die Wirtschaft sei um 20 Prozent gewachsen, der Warenexport um 25 Prozent, Realeinkommen und privater Konsum um ein Drittel. Die Devisenreserven der Zentralbank hätten sich seit 2000 sogar von 11 auf 61 Milliarden Dollar vervielfacht. Erstmals seit einem halben Jahrhundert würde Russland auch wieder Getreide ausführen. 18 Millionen Mobiltelefone und 10 Millionen Internetnutzer (bei einer Bevölkerung von 145 Millionen) verwiesen auf die hohe Bedeutung moderner Technologie im russischen Alltag.
Russland habe gezeigt, dass es „kein zum Niedergang verdammtes Land“ sei. Um weiter zu erstarken, müsse aber die Bürokratie radikal abgebaut werden, das Steuersystem weiter vereinfacht und für die Wirtschaft langfristig kalkulierbar werden. Ein Ziel sei auch, den Rubel voll konvertierbar und wieder so fest und international begehrt wie den „Goldrubel“ verflossener Zeiten zu machen.
Was die zäh vorangehende Militärreform betrifft, so nannte Putin konkrete Fristen zur Beschränkung der Wehrpflicht: Bis 2007 sollten sämtliche Eingreiftruppen sowie der Grenzschutz nur noch auf Kontraktbasis aufgestellt werden. Damit würde ausgeschlossen, dass Wehrpflichtige in Krisenregionen oder bei bewaffneten Konflikten innerhalb des Landes eingesetzt würden. 2008 soll der Wehrdienst von jetzt zwei Jahren auf ein Jahr verkürzt werden. Wer dann freiwillig drei Jahre diene, bekomme Anspruch auf einen Studienplatz, versprach Putin.
Kern der Militärreform sei aber auch eine grundlegende Neuausrüstung der Armee. Nicht näher bezeichnete neue strategische Waffen, an deren Entwicklung gegenwärtig gearbeitet werde, würden die Verteidigungsfähigkeit Russlands auch in der Zukunft sichern, sagte Putin unter dem Applaus der 1000 Zuhörer im Marmorsaal des Kreml. Neben den Angehörigen der Staatsduma und des Föderationsrates wurden auch führende Vertreter von Staat und Gesellschaft zu der Veranstaltung geladen.
Weniger als erwartet äußerte sich der Präsident zur internationalen Lage. Das Wort „Irak“ fiel nicht – nur eine Bemerkung über Länder, die ihre Armeen nicht nur zum Schutz ihrer eigenen Sicherheit einsetzen würden. Die in Afghanistan bewährte antiterroristische Koalition mit den USA, die UN und ihr Sicherheitsrat sowie der „Vertrag über kollektive Sicherheit“, ein neu gebildete Bündnis Russlands mit fünf weiteren GUS-Republiken, wurden von Putin dagegen als wesentliche Faktoren zur Krisenbewältigung und Terrorabwehr genannt.
Trotz zweier blutiger Terroranschläge, die in dieser Woche 75 Menschen das Leben kosteten, stellte Putin Tschetschenien als ein im Ansatz schon gelöstes Problem dar: Er dankte dem Tschetschenen für ihren „Mut“, sich bei dem Referndum im März für eine neue Verfassung und die Wiedereingliederung in die Föderation auszusprechen. Für die Wiederherstellung der territorialen Ganzheit Russlands sei aber ein hoher Preis bezahlt worden: „Wir verneigen uns vor den umgekommenen Soldaten und friedlichen Einwohnern Tschetscheniens“, so Putin.
(ld/.rufo)
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