Moskau. Der Freispruch für Jurij Budanow, den ersten hohen russischen Offizier, der wegen Kriegsverbrechen in Tschetschenien vor Gericht stand, ist von Menschenrechtlern scharf kritisiert worden. Der Anwalt Abdullah Chamsajew, der während des Prozesses die Eltern der ermordeten Elsa Kungajewa vertrat, kündigte an, Berufung gegen das Urteil einzulegen.
Am Silvesternachmittag sprach ein Militärgericht in Rostow am Don den Oberst, der im März 2000 eine junge Tschetschenin brutal ermordet hatte, frei, weil er zum Tatzeitpunkt angeblich nicht zurechnungsfähig gewesen sein soll. Der Budanow-Prozess, von Teilen der Moskauer Führung ursprünglich wohl als Beweis ehrlicher Aufarbeitung russischer Übergriffe in Tschetschenien inszeniert, ging damit ganz im Sinne der Verteidigung zuende. Statt den von der Staatsanwaltschaft geforderten zwölf Jahren Haft erwartet Budanow jetzt die Einweisung in eine psychiatrische Klinik.
Immerhin sei das Schlimmste verhindert worden, sagte Abdullah Chamsajew zu Russland.RU. Im Sommer habe es die Gefahr gegeben, dass Budanow den Gerichtssaal als freier Mann und Held aller rechtsextremen und nationalpatriotischen Kräfte hätte verlassen können. Damals war ein dubioses Gutachten des Moskauer Serbskij-Institutes für Psychiatrie zu dem Ergebnis gekommen, Budanow sei zwar während der Tat vorübergehend unzurechnungsfähig gewesen. Inzwischen gehe von dem Oberst aber keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit aus. Völlig überraschend änderte jedoch die Staatsanwaltschaft, die zuvor stets auf Freispruch plädiert hatte, ihre Position und forderte eine neue Expertise.
Der Budanow-Prozess habe das wahre Gesicht der russischen Armee offenbart, so Chamsajew. «Vor den Augen der Welt musste das Gericht eingestehen, dass die Verfassungsordnung in Tschetschenien durch den Einsatz von Wahnsinnigen wiederhergestellt werden soll», sagte er. Der Anwalt forderte, die russische Führung müsse endlich einsehen, welcher Schaden dem Land durch Offiziere wie Budanow entsünde. So lange derartige Männer in Tschetschenien das Kommando führten, werde der Widerstand gegen die Russen nicht enden, warnte er.
Jurij Budanow hatte die 18jährige Tschetschenin Elsa Kungajewa im März 2000 aus ihrem Haus in der Siedlung Tangi-Tschu verschleppen lassen und sie nach einem Verhör ermordet. Der Oberst hatte sich nach seiner Verhaftung damit gerechtfertigt, Kungajewa habe als Scharfschützin auf Seiten der tschetschenischen Rebellen gekämpft und sie nicht entführt, sondern als Tatverdächtige verhaftet. Hinweise für Verbindungen des Mädchens zu den Rebellen konnten jedoch nicht gefunden werden. Der zunächst erhobene Vorwurf, Budanow habe Elsa Kungajewa auch vergewaltigt, wurden während des Prozesses trotz offensichtlicher Indizien fallen gelassen.
Der Kreml demonstrierte am Tag des Urteils gleich noch ein weiteres Mal sein mangelndes Interesse, die ohne Rücksicht auf elementare Gesetze oder das Kriegsrecht operierenden Teile der russischen Armee in Tschetschenien an die Leine zu legen. Die Beobachtergruppe der OSZE in Tschetschenien muss nach einer Entscheidung in Moskau die Krisenregion verlassen. Die russische Führung habe der OSZE nahe gelegt, sich auf humanitäre Arbeit zu beschränken, erklärte Aussenminister Igor Iwanow. Damit sei die OSZE jedoch nicht einverstanden gewesen, weshalb ihr Mandat zum Jahresende ausgelaufen sei.
(rUFO/kp).
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