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18-07-2003 Panorama

Putin in der Mutter aller Hauptstädte

Staraja Ladoga (foto: ld/.rufo)Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Gestern ging für Staraja Ladoga im Leningrader Gebiet der Traum jedes russischen Provinznestes in Erfüllung: leibhaftiger Präsidenten-Besuch! Alt-Ladoga wuchert allerdings mit historischen Pfunden: Das Dorf feiert dieses Jahr sein 1250. Jubiläum – und hält sich für die erste Hauptstadt Russlands.

Wie einst die hier Waräger genannten Wikinger kam Putin ebenfalls den Wolchow aufwärts nach Staraja Ladoga: Allerdings nicht mit einem geruderten Drachenboot, sondern an Bord der Präsidentenyacht „Pallada“. Vom eigens gebauten neuen Bootsanleger schritt er über eine eigens gebaute neue Treppe, spazierte über eigens frisch geteerte Wege durch die Festung und ließ sich die aus dem 12 . Jahrhundert stammenden Mauern und Kirchen erklären.

Nicht lange vor den Gouverneurswahlen im Leningrader Gebiet – sie finden wie auch die Wahlen in St. Petersburg am 21. September statt – hat damit die Administration von Gouverneur Valeri Serdjukow einen hübschen Image-Erfolg gelandet: Nicht jeder 1000-Einwohner-Ort schafft es, Putin zu seinem lokalen Jubiläum zu locken.

Doch der Präsident besuchte hier ja nicht irgendeine Siedlung, sondern die „erste Hauptstadt Russlands“. So jedenfalls lautet das Etikett, dass man in den letzten Jahren Alt-Ladoga zur Aufwertung seiner touristischen Attraktivität angeheftet hat. Das von Festungsmauern, Kirchlein und Grabhügeln überragte Dorf am Wolchow wird damit an den Ausgangspunkt der Reihe Nowgorod-Kiew-Moskau-St. Petersburg gesetzt – was aber beiweitem noch nicht alle russischen Historiker so unterschreiben würden.

Auch das 1250-jährige Jubiläum ist etwas übers Knie gebrochen: Keine Urkunde bestätigt für Staraja Ladoga dieses Alter. Nur fand sich bei Ausgrabungen in einem alten Fundament ein Baumstamm, dessen dendrochronologische Untersuchung ergab, dass er im Jahre 753 gefällt worden war. Schon damals siedelten hier also Menschen, die nicht nur in Lehmhütten hausten. Andere Ausgrabungen bestätigen, dass Ladoga (zum fast vergessenen Alt-Ladoga wurde es erst, als Zar Peter I. 15 Kilometer weiter an der Mündung des Wolchow Neu-Ladoga gründete) schon sehr früh ein lebhaftes Handelszentrum war: 950 Jahre vor St. Petersburg gab es hier also schon einmal ein „Fenster nach Europa“.

Diese Erkenntnis wurde mit dem eher legendenhaften Gründungsmythos des russischen Staates kombiniert, wonach Mitte des 9. Jahrhunderts die Nowgoroder den Waräger Rurik riefen, bei ihnen für Ordnung zu sorgen. Und da der Wasserweg aus Skandinavien über die Newa und den Ladoga-See an Staraja Ladoga vorbeiführt, lässt sich behaupten, dass Stammvater Rurik mit seinen Streitern wohl schon hier das erste Mal an Land ging, um ein bisschen über Russland zu herrschen.

Sein Amtsnachfolger Putin nahm diese Fortschreibung der Legende zur Kenntnis, Kommentare seinerseits sind nicht überliefert. Dafür bekam er eine Glasperle aus dem vorletzten Jahrtausend geschenkt, die damals in Ladoga die gängige Valuta darstellte. Anschließend gab es eine Arbeitssitzung zu den Problemen der „kleinen Städte“ Russlands. Spätestens auf dieser Ebene dürfte der Lösungsansatz von Alt-Ladoga, doch einfach jede von ihnen mit etwas Hauptstadt-Vergangenheit auszustatten, verworfen worden sein.
(ld/.rufo)

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