St. Petersburg. Nicht nur Ausländer haben wegen der ungewohnten Vatersnamen ihre liebe Not mit der korrekten Anrede russischer Staatsbürger, sondern diese auch untereinander: Jetzt veröffentlichte Umfrage-Ergebnisse zeigen, dass sich Russen noch am ehesten mit einem solidarischen „Genossen!“ an eine Menschengruppe wenden. Aber verbindliche Floskeln gibt es leider nicht.
So kommt das sozialistische „towarischtschi“ (Genossen) nur 5 Prozent der Unternehmer über die Lippen. Die Business-Elite bevorzugt mit 18 Prozent das zivile „graschdanje“ (Bürger). Weniger gebildete, ältere sowie im Fernen Osten lebende Russen sehen ihre Mitmenschen dagegen mit deutlicher Mehrheit auch zwölf Jahre nach der Sowjetunion als „Genossen“.
Insgesamt führte bei der an 1570 Befragten durchgeführten Umfrage des Romir-Institutes die Anrede „Genossen“ mit 29 Prozent. 15 Prozent entscheiden sich für „Bürger“, 9 Prozent für das vornehme „Damen und Herren“ und 1 Prozent greift zu dem förmlichen „sudari i sudaryni“, was eine vorrevolutionäre Anrede etwa in der Art von „gnädige Herrschaften“ bedeutet.
Addiert man die Zahlen, ergeben sich nur 54 Prozent. Fast die Hälfte der Befragten blieb also eine eindeutige Antwort schuldig, was entweder für Ratlosigkeit, flexible Handhabung oder die Verwendung anderer Anredeformen spricht – jedenfalls aber dafür, dass die russische Sprachpraxis keine allgemeinverbindliche Form bereit hält. Nicht in die Wertung kam offenbar die von Altpräsident Boris Jelzin bei seinen Fernseh-Neujahrsansprachen geprägte Anredeform „rossijanije“: Damit bezeichnete er alle Damen und Herren, Genossen und Bürger seines weiten Staatsvolkes ebenso pauschal wie zutreffend als „Russländer“.
(ld/rUFO) |