St. Petersburg. Was Ausländern in Russland besonders ins Auge fällt, ist der ungeheure Bierkonsum auf öffentlichen Wegen. Nach Feierabend am Kiosk, mit Freunden auf der Parkbank oder auch beim abendlichen Gassi Gehen – die Bierbuddel in der Hand ist ein lieber Begleiter. Das soll nun anders werden – in der Staatsduma reift ein Gesetz heran, der den Gerstensaft von Russlands Straßen verbannen soll.
Auf Straßen, in Stadien, in Gärten und Parkanlagen, in von der Allgemeinheit genutzten Verkehrsmitteln und an anderen öffentlichen Orten sollen „Bier und andere auf seiner Basis hergestellte Getränke“ (O-Ton Gesetzentwurf) nichts mehr zu suchen haben. Schon am 9. Juli hatten die Volksvertreter in erster Lesung empfohlen, den Verkauf von Bier an Minderjährige sowie auf dem Gelände von Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und deren Umgebung zu verbieten.
Nachdem unlängst auch die Bierwerbung erheblich eingeschränkt wurde, erwartet die Braubranche einen weiteren erheblichen Einschnitt. Nach Angaben des „Kommersant“ sind nämlich 30 Prozent des verkauften Gerstensaftes zur „sofortigen Konsumierung“ bestimmt. Wenn das Gesetz auch durch die dritte Lesung kommt, werden die Russen ihre kleine Freiheit mit der Flasche in der Hand wieder hinter die Mauern von Bars, Cafes und Restaurants oder in die eigenen vier Wände verlegen müssen.
Was ist drin in Flasche oder Dose?
Wer sich nicht daran hält, soll 100 Rubel (ca. drei Euro) Strafe berappen. Fragt sich nur, warum es nur dem Bier an den Kragen soll, denn auf Russlands Straßen ist alles Mögliche an leichten alkoholischen Getränken unterwegs. Die haben allerdings eine unauffälligere Verpackung, die nur schwer von einer Cola- oder Fantadose zu unterscheiden ist. Bei der klassisch geformten Bierflasche ist die Identifizierung sehr viel einfacher.
Die Abgeordneten wollen nach eigenen Angaben beim Bier anfangen und sich Zeit mit allem anderen lassen. Denn auch beim Bier ist längst nicht alles klar. Soll es z.B. auch verboten sein, alkoholfreies Bier mit sich durch die Straßen zu tragen? Und dürfen Bars, die keinen Zapfhahn haben, Flaschenbier verkaufen?
Verluste für die Brauer und Frust bei der Bevölkerung
Der Umsatz der Bierindustrie beträgt zurzeit etwa 5,5 Milliarden Dollar. Der Verband der Brauer rechnet nach dem Reklameverbot und dem Konsumierungsverbot auf den Straßen mit einem Rückgang von 1,2 bis 1,65 Milliarden Dollar.
Doch auch das „gemeine Volk“ wird nicht glücklich über das neue Gesetz sein. Biertrinken auf der Straße ist „in“ und „schick“. Was in Deutschland zum Alltag von Pennern und Punks gehört, ist in Russland Lifestyle. Der junge, dynamische Mittelschichtler trinkt nach getaner Arbeit gern mal ein Bier an der Metro und beklönt mit seinen Kollegen die Dinge des Tages, bevor er sich auf den Weg nach Hause macht.
Haben wir also eine Art Bierputsch zu erwarten, wird sich der Unmut der „anständigen Biertrinker“ in zivilem Ungehorsam entladen? Wohl eher nicht, denn ein Sprachrohr hat diese sehr heterogene Klientel natürlich nicht, aus ihr wird keine politische Kraft erwachsen. Den Abgeordneten wird diese unpopuläre Maßnahme aber kaum Sympathie einbringen und die eh weit verbreitete Politikmüdigkeit im Lande nur noch zunehmen. (sb/.rufo)
|