 Von Lothar Deeg, St. Petersburg. Nacht liegt über Russland – und zeitgleich zerbrechen zwei Flugzeuge. Die Liste der im abergläubischen Russland schon vorab gefüchteten „August-Katastrophen“ – vom Putsch 1991 über den Rubel-Kollaps 1998 und 2000 das Kursk-Desaster, gekrönt vom Brand des Moskauer Fernsehturms – ist auch 2004 einen Eintrag länger geworden.
Dabei ist es fast zweitrangig, ob sich die Tupolew-Abstürze nun als „tschetschenischer“ Terrorakt oder als unglaubliche Verkettung technischer, meteorologischer oder menschlicher Fehler und Zufälle herausstellen. Flugzeuge – auch angegraute Iljuschins und Tupolews - sind normalerweise sichere Verkehrmittel.
Das Mindeste, was man von ihnen erwarten kann, ist dass sie in zehn Kilometer Höhe nicht von einer Sekunde auf die andere in Stücke gehen. Um dies zu verhindern, gibt es aberhunderte von Sicherheitsvorschriften – was die Kontrolle der menschlichen wie metallenen Flieger angeht wie auch der von ihnen beförderten Passagiere und deren Gepäcks.
In diesem System gab es am Dienstag Abend in Domodedowo einen Aussetzer. Irgendjemand hat geschlafen oder geschludert oder sabotiert.
Das dies just in einem Moment geschah, als dort – nach einem vergleichsweise harmlosen Anschlag an einer Ausfallstraße in Richtung Flughafen – die sogenannten Sicherheitsvorkehrungen ein weiteres Mal verschärft wurden, zeigt die Hilflosigkeit, mit der der russische Staat auf terroristische Bedrohungen reagiert: Panzerwagen fahren auf, Patrouillen werden verdoppelt, um Sicherheit zu simulieren. Nach ein paar Stunden oder Tagen ist dann wieder alles wie zuvor – und die Milizposten nutzen ihre Macht, Menschen und Fahrzeuge kontrollieren zu können, wieder bevorzugt zum Einsammeln von Wegezoll.
Seine Unfähigkeit zur Gefahrenabwehr bewies dieses System noch dadurch, dass nach der doppelten Offenbarung eines Sicherheitslecks nicht alle Abflüge aus Domodedowo gecancelt wurden. Nein, Innenministerium und Luftfahrtbehörde beließen es bei einem weiteren Aufruf, nochmals aufmerksamer zu sein.
Ist dies Putins ganzer „entschiedener Kampf gegen den Terrorismus“? Solange im Kaukasus nicht Frieden einkehrt und bei russischen Amtspersonen nicht echtes Verantwortungsgefühl den Egoismus überwiegt, wird es in Russland immer nur eine derart vorgegaukelte Sicherheit geben – und immer neue Katastrophen, nicht nur im August.
(ld/.rufo)
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