Von Karsten Packeiser, Moskau. Nicht nur streng orthodoxe Russen packt zuweilen die Verzweiflung, wenn sie abends zur besten Sendezeit durch die russischen Fernsehkanäle zappen. Während der „1. Kanal“ die 205. Folge einer brasilianischen Seifenoper zeigt, läuft beim Staatsfernsehen „Rossia“ eine Nachrichtensendung mit den schlimmsten Verkehrsunfällen und Verbrechen des Tages.
Beim Konkurrenzsender NTW sind Polizisten mit einer weiteren Episode ihrer „Bullen-Kriege“ zu sehen. Die russische Kirche kämpft seit Jahren für ein anderes Fernsehen. Ein eigener TV-Kanal könnte die Lösung sein.
Immer wieder würden Gläubige fragen, ob sie überhaupt ohne Schaden für das Seelenheil fernsehen dürften, berichtet der Priester Michail Dudko vom kirchlichen Außenamt des Moskauer Patriarchats. „Die Präsenz der Kirche im Fernsehen muss ausgebaut werden“, erklärt der Geistliche.
Familienprogramm statt klerikaler Sendungen
Ein orthodoxer TV-Kanal sollte nach den Vorstellungen der Kirche bei weitem nicht nur Predigten zeigen. Dort müsse es auch Platz für Serien, Filme und sogar Talk-Shows geben, in denen traditionelle Werte vermittelt werden. „Alles ist möglich, was nicht den Grundfesten der Kirche widerspricht“, sagt Dudko.
Bei der Anzahl spezialisierter TV-Sender muss Russland schon heute den Vergleich mit anderen Ländern nicht scheuen. Es gibt einen staatlich finanzierten, werbefreien Kultur-Kanal. Auf der Frequenz des geschlossenen Kreml-kritischen TVS strahlt heute ein Sportsender seine Programme aus. Im Februar nahm zudem vorerst nur in Moskau ein Armee-Sender den Betrieb auf.
Ende Januar hatte sich Kulturminister Alexander Sokolow für einen Kirchensender stark gemacht. Für den Aufbau eines landesweit über die Hausantenne zu empfangenen Kanals wären aber Dutzende Millionen Euro nötig, die die Kirche nicht hat. An einen kommerziellen Erfolg eines orthodoxen Spartensenders glauben zudem nicht einmal dessen Befürworter richtig. „Geistreiche Sendungen mit hoher Einschaltquote zu produzieren, ist eine schwierige Aufgabe“, meint Jewgeni Charybin, Direktor des Satelliten-TV-Anbieters „STW“. Sein Unternehmen strahlt bereits seit 2003 Vorlesungen des Moskauer Priesterseminars aus, die künftigen Seelsorgern ein Fernstudium ermöglichen.
Kirchennahes Radio aus Spenden finanziert
Schon heute gibt es in Russland hunderte orthodoxer Medien. Die Palette reicht von dubiosen Fundamentalisten-Blättern bis hin zu professionellen Hochglanzzeitschriften und Internet-Magazinen. Bereits seit fünfzehn Jahren existiert der kirchen-nahe, konservative Radiosender „Radonesch“. „Wir finanzieren uns ausschließlich aus den regelmäßigen Spenden unserer Hörer“, sagt Jewgeni Nikiforow, Vorsitzender der gleichnamigen orthodoxen Bruderschaft. Durchschnittlich zwei Euro im Monat lassen sich die Stammhörer von „Radio Radonesch“ ihren Sender kosten.
Nikiforow hält die Modell grundsätzlich auch auch bei einem Kabel- oder Satelliten-Fernsehsender für denkbar. Seit kurzem gibt es bereits erste Radonesch-Fernsehprogramme im Internet. Jede Woche können Interessierte sich sieben Stunden neues Programm von der Webseite der Bruderschaft herunterladen.
Noch einen Schritt weiter ist bereits die Diözese von Jekaterinburg im Ural. Sie kaufte einen regionalen Kabelsender auf und sendet das erste echte orthodoxe Fernsehprogramm Russlands. Die alte Belegschaft wurde übernommen, doch die Journalistinnen müssen sich seit der Übernahme im Rock, statt in Jeanshose vor die Kamera stellen. (epd)
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