Von André Ballin, Moskau. Die IT-Branche in Russland boomt und klagt über mangelnden Nachwuchs. Obwohl in Russland der Anteil der Studenten in technischen Fachrichtungen mit 50 Prozent höher als anderswo liegt, gibt es im IT-Bereich pro Jahr nur etwa 10.000 Abgänger. Und auch bei diesen beklagen sich die Unternehmen über mangelnde Programmierkenntnisse. Im letzten Jahr flossen lediglich 1,06 Prozent des russischen Staatshaushalts in Forschung und Ausbildung.
Die Ausbildung der jungen PC-Ingenieure sei oft veraltet und entspreche nicht den Anforderungen der Arbeitswelt, beklagen sich die IT-Unternehmen. Das liege daran, dass die Universitätsprofessoren oft schon jenseits der Pensionsgrenze sind. Die Studenten müssen daher oft eine Menge überflüssiges Wissen pauken, dass dann später nie wieder abgefragt wird, während sie das eigentlich Wichtige nebenbei erlernen müssen, lautet der Vorwurf aus der Computerbranche.
Die Unis wehren sich gegen diese Beschuldigungen: „Höhere Bildung soll den Studenten in erster Linie die Fähigkeit zum abstrakten Denken vermitteln,“ sagt Sergej Gus, Mathematikprofessor am Moskauer Physik und Technik-Institut (MFTI). Das MFTI bildet die meisten zukünftigen PC-Spezialisten in Russland aus. Knapp 4.000 Studenten lernen hier das Einmaleins des Programmierens.
Insgesamt gibt es in Moskau 12.000 IT-Studenten, in Petersburg noch einmal 10.000. In Nischni Nowgorod sind es schon deutlich weniger, dort studieren gerade einmal 2.000 Studenten im IT-Bereich. 250 Universitäten bieten in Russland Fachrichtungen an, die mit Informationstechnologien zusammenhängen. Das ist schon erheblich mehr als noch vor drei bis vier Jahren, so dass die Absolventenzahl bald auf 20.000 – 22.000 pro Jahr steigen wird.
Doch das Niveau der Uni-Abgänger ist sehr unterschiedlich. Hohe Reputation besitzen z.B. das MFTI, das Moskauer Institut für Elektrotechnik (MIET) und das Petersburger Institut für Feinmechanik und Optik (IFMO), das vor kurzem auch einen internationalen Programmierwettbewerb gewann.
Die meisten Absolventen wollen in die Privatwirtschaft. Ein Programmierer verdient in Russland nach einer Studie des Progrssive Policy Institutes aus den USA zwischen 5.000 – 7.500 USD jährlich (400 -625 USD pro Monat). Doch nach Angaben von Igor Tichi, Business-Direktor bei der IT-Gesellschaft „Artesio“ sind die Gehälter inzwischen deutlich höher. „Ein guter Programmierer bekommt in Russland mindestens 10.000 USD pro Jahr“ (< 800 USD monatlich), teilte er russland-aktuell mit.
Die Professoren verdienen deutlich weniger als die Spezialisten auf dem Gebiet (knapp 600 USD), weshalb für die meisten Studenten eine akademische Karriere nicht erstrebenswert ist. Viele Professoren sehen ihre Lehrtätigkeit auch nur als zusätzliche, nicht jedoch als Hauptverdienstquelle, weiß Tichi.
Um die Studenten auf die Privatwirtschaft vorzubereiten, wurde die Zusammenarbeit zwischen Alma Mata und Unternehmen in letzter Zeit schon intensiviert. Viele Absolventen schreiben ihre Diplom- oder Magisterarbeiten über Themen, die aus den Arbeitsgebieten der IT-Firmen stammen. Die Unternehmen bieten Praktika an und bei Gemeinschaftsprojekten zwischen Uni und Privatunternehmen verwirklichen die Studenten IT-Projekte aus dem Aufgabenbereich einzelner Firmen, wie z.B. Physikon, Luxoft oder Auriga.
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