Von Karsten Packeiser, Moskau. Der russische Kabelsender TNT lässt in einer neuen Reality-TV-Show zwölf Kandidaten um die Wette hungern. Nach dem traditionellen Big-Brother-Prinzip sperrten die Verantwortlichen je sechs junge Männer und Frauen in einen mit Kameras gespickten Wohncontainer in Berlin, in dem es alle Annehmlichkeiten gibt - nur nichts zu essen. Der Sieger der bizarren Show „Golod“ („Hunger“) soll mit einer lebenslangen monatlichen Rente in Höhe von 1.000 Dollar für seine Entbehrungen belohnt werden.
Von Zeit zu Zeit dürfen einige der Kandidaten den Container verlassen. Sie sollen innerhalb weniger Stunden in der für sie völlig unbekannten und fremden Stadt Geld verdienen, um sich und die Mitstreiter damit zu verpflegen. Keiner der Kandidaten kann den Angaben des Senders zufolge Deutsch. Geistreiche Einfälle zum Geldverdienen blieben bisher aus. Zwei mit versteckten Kameras ausgestattete Mädchen bettelten Passanten an und sangen mit schiefen Stimmen russische Volkslieder.
Wirklichen Neuigkeitswert hatte lediglich die Tatsache, dass die Berliner gar nicht so kaltschnäuzig sind, wie gemeinhin von ihnen behauptet wird. Der russischen Fernsehnation wurden verwackelte Bilder der versteckten Kamera präsentiert, auf denen ein Mann den beiden Damen aus dem Osten freiherzig anbot, sie zum Essen einzuladen: „Do You like a Döner?“ Warum die beiden hungernden Russinnen die Einladung ausschlugen, blieb dem Zuschauer verborgen. Auch den Vorschlag eines Gemüsehändlers auf einem Wochenmarkt, sich für 30 Euro von ihm „abschleppen“ zu lassen, lehnten die beiden Kandidatinnen voller Stolz ab.
Eigentlich wollte TNT das Geheimnis nicht lüften, wo genau die russischen Hungerleider untergebracht werden. Der Sender könne es vorerst nicht zulassen, dass Außenstehende Kontakt zu den Kandidaten aufnehmen, hieß es auf Anfrage. Dabei sind auch die deutschen Behörden inzwischen auf die Show aufmerksam geworden, obwohl bislang noch keine Fälle von Prostitution oder Mundraub bekannt wurden. Die Polizei die den russischen Hunger-Container in einem Industriegebiet in Spandau ausmachte, fand dort einem Bericht der BLZ zufolge aber nichts Anstößiges. Auch verhungern muss keiner der Kandidaten. Jederzeit können warme Mahlzeiten bestellt werden. Eine Packung halbfertiger gefüllter Pfannkuchen etwa kostet allerdings 3.200 Dollar, eine Packung Pelmeni aus dem Tiefkühlfach stolze 2.000 Dollar. Die Summen werden von dem versprochenen Preisgeld abgezogen. Der Sender teilte zudem mit, alle Kandidaten erhielten ausreichende Mengen eines Energietrunks gratis.
Noch bis zum 14. Februar will TNT täglich zweimal aus Berlin berichten. Insgesamt kann „Golod“ im Vergleich zu den anderen russischen Reality-Shows mit nicht viel Neuem aufbieten. Aus Mangel an interessanten Bildern werden die täglichen Sendungen mit den Aufnahmen aus der Gemeinschaftsdusche aufgefüllt.
Solche Bilder hatten bei der russischen „Big Brother“-Premiere „Sa Steklom“ („Hinter Glas“) im Jahr 2001 noch für einen Skandal gesorgt, können heute aber in Moskau niemanden mehr wirklich schockieren. Das Interesse an der Hunger-Show hält sich daher beim Publikum in Grenzen und nur wenige Zeitungen fanden die inzwischen x-te ähnlich gestrickte Sendung einer ausführlichen Berichterstattung wert. In Deutschland ist das anders. Womöglich, weil Frauen mit hochhackigen Stiefeln, die überlegen, ob sie vielleicht doch besser auf den Strich gehen sollten, weil sie nichts zu essen haben, genau in das Russland-Klischee passen, dass vielen Deutschen inzwischen tief im Kopf steckt.
Der 1998 gegründete Kabelsender TNT kann nach eigenen Angaben landesweit inzwischen von 58 Prozent aller Haushalte empfangen werden, da sein Programm auch von einer Vielzahl regionaler Sender übernommen wird. Die Sendungen des Unterhaltungskanals erreichen durchschnittlich einen Marktanteil von sechs Prozent. Vor dem Start von „Hunger“ galt bereits die Prügel-Talkshow „Okna“ („Fenster“) auf TNT als provokanteste Sendung im russischen Äther.
(epd/kp)
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