Moskau. Der kremlkritische russische Fernsehsender ist nach nur etwas über einjähriger Geschichte in der Nacht zum Sonntag auf einen Erlass des Moskauer Presseministeriums hin abgeschaltet worden. Das laufende Programm des Senders wurde mitten in einer Werbepause unterbrochen. Bereits wenige Stunden später waren auf der alten TWS-Frequenz die Sendungen des neu gegründeten staatlichen Sportkanals “Sport” zu sehen. Zwar galt das Schicksal von TWS wegen erheblicher finanzieller Probleme bereits seit mehreren Wochen als besiegelt, die mitternächtliche Abschaltung des Senders jedoch kam für Zuschauer und Sendeverantwortliche völlig überraschend.
Das Presseministerium begründete seine Entscheidung in einer Erklärung damit, es habe die Interessen der russischen Fernsehzuschauer wahren müssen. Um die bestehende Freuqenz rational zu nutzen, habe “Sport” eine zeitweilige Sendeerlaubnis erhalten. Wegen unbezahlter Rechnungen hatte der Kabelnetzmetreiber Mostelekom zuvor TWS in Moskau abgeschaltet. Eine offizielle juristische Begründung für den Schritt, der ohne ein gesetzlich vorgesehenes Gerichtsurteil erfolgte, blieb die Behörde von Minister Michail Lessin jedoch (bis Dienstag Mittag) schuldig. Die “Moscow Times” zitierte einen hochrangigen Beamten mit den Worten: “Es war eine ungewöhnliche Situation, die eine ungewöhnliche Entscheidung erforderte.”
Der TWS-Chefredakteur Jewgenij Kisseljow machte die TWS-Aktionäre für das Debakel des Senders verantwortlich. “Dies ist der Schlusspunkt für TWS in seiner bisherigen Gestalt”, sagte er in einem Rundfunkinterview. Seine Journalisten hätten nun keine Möglichkeit mehr, ohne Zensur zu arbeiten. Die Lessin-Behörde sei in ihrer gegenwärtigen Gestalt eine “gemeingefährliche Organisation”, so Kisseljow, da die Abschaltung völlig illegal erfolgt sei. Der Moskauer Zeitung “Kommersant” sagte Kisseljow: “All das ist eine große Schweinerei. Und der Presseminister ist ein Schwein.”
TWS hatte im vergangenen Jahr die Nachfolge des zuvor nach einem juristisch fragwürdigen Rechtsstreit aufgelösten Senders TV-6 angetreten. Ein großer Teil der Journalisten des von mehreren zerstrittenen Wirtschaftsmagnaten finanzierten Kanals hatte ursprünglich für den einst professionellsten russischen Privatsender NTW gearbeitet, der im April 2001 ebenfalls unter rechtlich zweifelhaften Umständen vom halbstaatlichen Gaskonzern Gasprom übernommen wurde. Nur wenige Wochen vor dem endgültigen Aus für TWS hatte der Aluminium-Zar Oleg Deripaska die Aktien des ehemaligen Privatisierungschefs Anatolij Tschubais aufgekauft, mit dem er sich zuvor einen Machtkampf um die Redaktionspolitik geliefert hatte. Zuletzt waren die Generaldirektoren des Senders nahezu im Monatsrhythmus ausgewechselt worden. Auch die Schaffung klarer Verhältnisse bei TWS konnte den Sender jedoch nicht mehr retten.
Der staatliche Sportkanal “Sport” hatte am 12. Juni seinen Sendebetrieb aufgenommen, war in Moskau aber bislang nur in wenigen Haushalten zu empfangen. Seine Gründung geht auf eine Initiative des sportbegeistern Kremlchefs Wladimir Putin zurück, der Gerüchten zufolge auch persönlich die Abschaltung der regimekritischen Journalisten angeordnet haben soll. Mit Hilfe des Senders soll das Interesse der Russen für den Sport und einen gesunden Lebenswandel gefördert werden.
Die einstigen Journalisten des zerschlagenen Senders haben sich inzwischen erneut auf die Suche nach einer neuen Anstellung begeben. Star-Nachrichtenmoderator Michail Ossokin wird Berichten zufolge wieder zu NTW zurückkehren. Andere Korrespondenten des Senders wollen künftig für das Staatsfernsehnsehen arbeiten. Der bekannte russische Satiriker Viktor Schenderowitsch, dessen brilliant-bissige Sendungen im Kreml und bei Duma-Politikern regelmäßig Zornesausbrüche hervorriefen, kündigte dagegen seinen Abschied vom Fernsehen an. “Die Chefs mehrerer Fernsehkanäle haben mir klar gemacht, dass es in der gegenwärtigen historischen Periode keinen Platz für Satire gibt”, sagte er dem Radiosender “Echo Moskaus”, “jetzt heißt es abwarten bis zur nächsten historischen Periode”.
(rufo/.kp).
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