(kp) Von Karsten Packeiser (Moskau/ epd). Zwei gebrochene Arme, ein gebrochenes Bein, der Kiefer zertrümmert, ein großer Bluterguss im Gesicht: Seinen Artikel über korrupte Regionalpolitiker musste Jan Swider teuer bezahlen. Zwei Unbekannte schlugen ihn in der vergangenen Woche im Hausflur zusammen. Wann der Redakteur einer Lokalzeitung in der Kaukasus-Stadt Tscherkessk das Krankenhaus wieder verlassen kann ist ungewiss. Kritische Journalisten leben in Russland nicht ungefährlich.
„Die Lage wird zunehmend schlimmer", warnt Oleg Panfilow vom Moskauer „Zentrum für Journalismus in Extremsituationen", einer Tochterorganisation des russischen Journalistenverbandes. Nachdem seit dem vergangenen Jahr die beiden unabhängigen Fernsehsender NTW und TV-6 nach massivem Druck zu weitgehender Linientreue gezwungen worden seien, plane der Kreml jetzt, auch die letzten landesweitem kritischen Tageszeitungen wie „Kommersant", „Obschtschaja Gaseta" oder „Nowyje Iswestia" an die Leine zu legen.
Seit Wladimir Putin russischer Präsident ist, verzeichnet Panfilows Zentrum einen Anstieg von Gerichtsverfahren gegen Journalisten um das Vierfache. Bei keinem der Aufsehen erregenden Morde an Journalisten in den vergangenen Jahren wurden dagegen die Hintermänner gefasst.
Die staatlichen Fernseh- und Radiosender - gerade in der Provinz für viele Russen die einzige Informationsquelle - haben sich nach Ansicht von Oleg Panfilow den Herrschenden bereits vollständig verschrieben: „Da werden die Traditionen der sowjetischen Propaganda wiederbelebt."
Den Europäern wirft Panfilow vor, die Pressefreiheit in Russland längst abgeschrieben zu haben, weil ihnen ein gutes Verhältnis zum Kreml-Chef offenbar wichtiger sei. Bei seinen Treffen mit westlichen Amtskollegen betont Putin gerne, wie wichtig eine freie Presse für die Entwicklung des demokratischen Russland ist. „Sieht der Westen wirklich nicht, was hier tatsächlich vor sich geht?" fragt Panfilow.
Ein Jahrzehnt nach dem Zerfall der Sowjetunion ist von „Glasnost", der von Michail Gorbatschow eingeführten Politik der Offenheit, in vielen Teilen der einstigen Supermacht kaum noch etwas zu spüren. So ist in Mittelasien mittlerweile praktisch die gesamte Presse gleichgeschaltet. Missliebige Stimmen werden oft unter dem Vorwurf vor die Gerichte gezerrt, Propaganda für verbotene fundamentalistische Moslem-Gruppen zu betreiben. Auch der ukrainische Staatschef Leonid Kutschma rutschte nach vermehrten Übergriffen auf kritische Medien in seinem Land inzwischen auf eine Liste der weltweit größten Feinde der Presse, die ein New Yorker Journalistenverband alljährlich zusammenstellt.
Noch ist die Pressefreiheit in Russland nicht gänzlich abgeschafft. Zunehmend gibt es aber Themen, die für eine kritische Berichterstattung tabu sind. Der Tschetschenien-Krieg fällt weitgehend darunter, aber auch direkte Kritik an Putin.
Das musste im vergangenen Winter erstmals auch ein ausländischer Journalist am eigenen Leib erfahren. Wegen der Veröffentlichung eines Artikels über den Beginn eines Personenkultes um Putin muss sich der Russland-Korrespondent der Berliner „tageszeitung", Klaus-Helge Donath, seit Februar vor einem Moskauer Gericht verantworten. Ein Student aus dem Ural, Verfasser einer Lobhymne auf den Präsidenten, den Donath in seinem Artikel erwähnt, hatte den Journalisten wegen Beleidigung verklagt und fordert außer Schadenersatz auch die Ausweisung des Deutschen.
Als der Redakteur eines staatlichen Moskauer Rundfunksenders in der vergangenen Woche über den Prozess berichten wollte, ließen seine Vorgesetzten den fertigen Beitrag in den Papierkorb wandern. Es bestehe kein Anlass dafür, ständig über den angeblichen Personenkult um Putin zu berichten, hieß es. Außerdem sei der Fall Donaths „untypisch" für die Situation der Presse in Russland. |