Moskau. Der Film ‚Olgas Sommer’ läuft als einziger deutscher Beitrag beim Wettbewerb des Internationalen Kinofestivals in Moskau. Die Regisseurin Nina Grosse sprach mit www.aktuell.ru über Liebesfilme, Sehnsuchtsorte und Bubblegum-Träume. Das Gespräch führte Stephanie Prochnow.
www.aktuell.ru: Sie drehen besonders häufig Liebesgeschichten und Krimis – faszinieren sie gerade diese Genres?
Grosse: Ich finde nicht, dass man generell sagen kann: dieses und jenes interessiert mich. Das Thema springt einen vielmehr an. Und dann entwickelt man eine Leidenschaft und fängt an zu recherchieren. Ich bin da ziemlich offen. Liebe ist nun einmal etwas, was uns immer wieder über den Weg läuft – Gott sei Dank. Man kann nicht sagen, dass ich speziell Liebesgeschichten mache. Aber es stimmt, dass mich Geschichten zwischen Männern und Frauen sehr interessieren. Die Machtverhältnisse zwischen ihnen. Und der Krimi oder sagen wir besser Thriller ist einfach ein spannendes Genre.
www.aktuell.ru: Hängen denn Liebe und Verbrechen eng zusammen?
Grosse: Manchmal ja.
www.aktuell.ru: Der Protagonist in ‚Olgas Sommer’ sagt: Alle großen Liebesgeschichten enden tragisch. Ist das Ihre persönliche Meinung oder eine historische Erkenntnis?
Grosse: Es ist nicht ganz meine persönliche Meinung. Es gibt einfach sehr viele, sehr große Liebesgeschichten, die tragisch endeten und vielleicht gerade deswegen zu großen Liebesgeschichten geworden sind. Beziehungen, die dauern, sind dann irgendwann keine Liebesgeschichten mehr. Die werden Alltagsgeschichten und Ehen. Dann scheidet man sich und streitet sich um die Kinder. Manchmal habe ich das Gefühl, es stimmt schon, dass Liebe sehr viel mit Trennung zu tun hat.
www.aktuell.ru: Weil der Schmerz erst richtig groß wird, wenn man sich trennt?
Grosse: Nein, aber weil Liebe, glaube ich, nicht etwas ist, was man halten kann.
www.aktuell.ru: Welche Liebesgeschichten mögen Sie besonders?
Grosse: Der letzte Tango von Bertolucci ist eine wunderschöne Liebesgeschichte. Die Welt ist voll von schönen Liebesgeschichten. In Russland allein gibt es so viele: Anna Karenina und so weiter. Es gibt so viele. ‚A bout de souffle’ von Godard. Das sind zum Beispiel alles Liebesgeschichten, die tragisch endeten. Ich glaube, es hat etwas mit Leidenschaft zu tun. Die ist nur eine bestimmte Zeit möglich. Dann wird es etwas anderes. Vielleicht eine andere Form von Liebe. Aber über die erzähle ich vielleicht später mal, wenn ich älter bin und mehr Erfahrung habe. Im Moment – habe ich den Eindruck – erzähle ich noch über Leidenschaft.
Egal, wenn es mit dem Mann nicht geklappt hat
www.aktuell.ru: Olgas Sommer ist aber auch eine Art Plädoyer für die Naivität.
Grosse: Das stimmt. Es ist wirklich ein Plädoyer für die Naivität, aber im guten Sinne. Weil Olga, als sie merkt, dass ihre pubertären Träume zerplatzen, trotzdem alleine ihren Traum zu Ende lebt. Das ist zum Beispiel etwas, was das russische Publikum besonders mochte – gerade die Frauen. Von meinen paar Tagen Aufenthalt in Moskau habe ich den Eindruck, dass das Verhältnis der Frau vom Mann hier doch noch sehr viel abhängiger ist, als im Westen. Die Frauen haben nach dem Film gesagt: Egal, wenn das mit dem Mann jetzt nicht geklappt hat und es nur die großen Bubblegum-Träume waren. Dass das Mädel dann alleine mit dem Schiff losfährt, das hätten sie so toll gefunden. Da hatte ich den Eindruck, die Idee macht den Frauen Mut: Man kann es auch alleine machen. Man braucht nicht immer den Mann an seiner Seite. Insofern ist Olga naiv, geht dann aber ein Stück weiter und verliert die Naivität, ohne aber den Glauben zu verlieren. Das mochte ich an der Figur so.
www.aktuell.ru: Was waren denn Ihre Jugendträume? Haben Sie sie verwirklichen können?
Grosse: Ich denke schon. Meine Jugendträume waren, dass ich Filme mache, dass ich ins Ausland gehe, dass ich ein unabhängiges Leben führe. Das habe ich gemacht. Aber natürlich passiert es dann anders, als man es sich vorstellt – wie bei Olga. Aber ich denke schon, dass ich mir treu geblieben bin.
Keine deutsche Olga gefunden
www.aktuell.ru: Warum ist ausgerechnet Tanger in ihrem Film der Ort der Sehnsucht?
Grosse: Als ich in Olgas Alter war, war für mich Paul Bowls unheimlich wichtig. Sein Buch, das auch die Hauptfigur Daniel erwähnt, ‚The sheltering scy’ war eines meiner Lieblingsbücher. Es ist übrigens auch eine große, unglückliche Liebesgeschichte. In Tanger gab es eine Künstlerbewegung – in den 20er, 30er Jahren oder auch noch später in den 60ern. Die Beatles sind zum Beispiel nach Tanger gegangen und haben dort mit Drogen experimentiert. Es war eine sehr freizügige Gemeinschaft von Europäern und Amerikanern, die dort gelebt hat. Das war für mich immer ein Sehnsuchtsort – so mysteriös und geprägt von einer großen kulturellen Tradition. Ich bin übrigens nie dorthin gefahren. Deswegen habe ich Olga hingeschickt.
www.aktuell.ru: Wieso haben sie die Hauptrollen mit französischen Schauspielern besetzt?
Grosse: Ich habe keine deutsche Olga gefunden. Ich habe einen Sommer lang in Deutschland gecastet, aber kein Mädchen gefunden, bei der ich den Eindruck hatte: Sie ist es. Aber eine Französin. Weil es aber die erste große Rolle von Clémence Poésy war, wollte ich nicht, dass sie mit einem Deutschen spielen muss. Das wäre einfach zu schwierig gewesen. Dann habe ich eben Bruno Todeschini genommen. So wurde es plötzlich eine richtige deutsch-französische Koproduktion.
www.aktuell.ru: Wann läuft der Film in Deutschland an?
Grosse: Das wissen wir im Moment noch nicht, weil wir noch keinen Verleih haben. Ich nehme an, dass er im Herbst in Frankreich starten wird.
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