Von Caroline Uhlig, Moskau. Nach einer 10-tägigen Sibirien-Tournee durch Jekaterinburg, Nowosibirsk, Krasnojarsk und Omsk sitzen die Jungs von TOCOTRONIC schlaf- und kraftlos am Flughafen. Während ein Teil der Gruppe den Heimweg nach Hamburg antritt, schlendert Dirk von Lowtzow durch Moskau. Während einer Besichtigungs-Pause sprach der Frontmann der Gruppe mit www.aktuell.ru über die Sibirien-Tour und das deutsche Heimatland.
www.aktuell.ru: Ihr habt durchschnittlich vor 250 und mehr Zuschauern gespielt. Haben die Leute eure Texte und deren Botschaft verstanden?
Dirk: Ja, zum Teil schon. Es war zwar schwierig direkt zu kommunizieren, denn die wenigsten Konzertbesucher konnten gut genug Englisch. Geschweige denn, dass wir Russisch konnten. In der Kommunikation nach den Konzerten hatte ich aber schon den Eindruck, dass es angekommen ist, dass sie es verstanden haben und es super fanden. Viele waren total enthusiastisch und wollten unbedingt mit uns sprechen. Ein paar waren auch eher teeniemäßig fanatisch. Gerade in Nowosibirsk gab es ganz junge Mädchen, die Autogramme auf den Arm oder den Bauch haben wollten. (Er schüttelt ein wenig verlegen den Kopf.)
www.aktuell.ru: Gab es ein Erlebnis auf der Tour, das dir noch lange präsent sein wird?
Dirk: Die Zugfahrt von Krasnojarsk nach Omsk war etwas Besonderes. In den Städten an sich gibt es wenig Unterschiede, da fühlt man sich halt wie im Urlaub. Aber während der Bahnfahrt aus dem Fenster zu schauen, war schon etwas anderes. Wir hatten auch irgendwo einen Halt von 20 Minuten, wo auf einmal Leute in den Zug kamen und Getränke und Früchte verkauften. Das war total irre und tatsächlich eine andere Welt.
www.aktuell.ru: Vor kurzem ist der Tocotronic-Song „Hi Freaks“ auf dem Sampler "Heimatkult - New German Liedgut" erschienen. Ihr wart darüber nach eigenen Worten „erschüttert“. Warum?
Dirk: Das ganze wäre nicht so tragisch gewesen, wenn wir nicht das Gefühl hätten, dass in Deutschland gerade so ein extrem pop-nationalistisches Selbstverständnis aufgebaut wird. Die Sache ist die: Als wir damals in Hamburg zu spielen anfingen, war man allgemein extrem links sozialisiert. Wir wollten zwar immer deutsch singen, waren uns aber zugleich der Deutschland-Problematik durchaus bewusst. Wir wollten nie anti-deutsch, aber anti-nationalistisch sein.
www.aktuell.ru: Dennoch seid ihr jetzt mit dem Goethe-Institut als Repräsentanten neuer deutscher Kultur unterwegs. Inwiefern könnt ihr das ideell vertreten?
Dirk: Nun, dass ist sicher ein Zwiespalt. Aber wir haben uns mit der Institution „Goethe-Institut“ von vornherein auseinander gesetzt und geschaut, was in den einzelnen Ländern passiert. Wir wissen, dass auf der kulturpolitischen Ebene Deutschland vertreten wird. Aber auf der anderen Seite werden auch extrem gute Projekte an den Start gebracht. Wenn das Goethe-Institut linksradikale Bands wie „Die goldenen Zitronen“ durch die Welt schickt, kann es so schlecht nicht sein.
www.aktuell.ru: Also ist es doch kein Problem, deutsche Kultur zu vertreten?
Dirk: Man macht sich schon darüber Gedanken, ob man mit einer anti-deutschen Einstellung sowas mitmachen sollte. Aber ich finde die Arbeit der Goethe-Institute tatsächlich gut.
www.aktuell.ru: Was bedeutet für dich oder für die Gruppe deutsch zu sein?
Dirk: Ich fühle mich nicht als Deutscher. Mir ist das sowas von piepenhagen-egal. Ich finde die Idee vom Nationalstolz eklig. Mir persönlich ist es egal, welchen nationalen Background jemand hat. Diese Nationalismus-Diskurse verstehe ich nicht, denn ich vermute dahinter immer so ein revisionistisches Element.
www.aktuell.ru: Wie soll es denn musikalisch weitergehen bei Tocotronic.
Dirk: Wir sind momentan bei den Aufnahmen für die neue Platte, die Anfang nächsten Jahres in die Läden kommen soll. Wir sind auch schon relativ weit. Wir nehmen jetzt zum ersten Mal zu viert auf, – eben mit Rick – wodurch die Platte noch gitarren-lastiger wird, als die vorigen.
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