Moskau. Eine Woche brauchten sieben Leute, um mehrere Tonnen Equipment für virtuelle Effekte und Sound im Moskauer Historischen Museum aufzubauen. Megadisko zwischen Ikonen und Zarenporträts? Projektleiter Bernd Kracke spricht zwar von „hot spots“, doch damit meint der Professor an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach keine Scheinwerfer, die leicht bekleidete Mädchen anstrahlen, sondern die interessantesten Stellen des virtuellen Rundganges durch die Mariä-Entschlafungs-Kirche in Nowgorod.
Außer diesen Highlights - wie der Außenansicht oder dem Altarraum - bietet das 3-D-Modell einen fünfminütigen Einführungstext auf englisch und russisch über die Entstehung und Zerstörung des Gotteshauses. Auch wenn das Kirchenmodell in eine modifizierte Video-Game-Software geladen wurde, so ist es keine technische Spielerei. Die Professor und Studenten der Hochschule für Gestaltung begleiten mit ihrem interaktiven Computermodell den Wiederaufbau der Uspenskij-Kirche.
Die Simulation, die zuvor bereits etwa 15.000 Besucher in das Frankfurter Dommuseum lockte, ist seit heute in Moskau zu bewundern. Sie vermittelt einen hervorragenden Eindruck, wie die Fresken in der Uspenskij-Kirche einst aussahen - damals vor gut 650 Jahren, als einer der berühmtesten altrussischen Ikonenmaler, der unbekannte „Meister von Wolotow“, das Bauwerk auf dem Wolotowo Feld ausmalte.
Wie viele andere Kulturdenkmäler fiel das Gebäude dem Ansturm der deutschen Truppen zwischen 1941 und 1944 zum Opfer. Trotz der weitgehenden Zerstörung nahm die UNESCO die Kirche 1992 in die Liste des Weltkulturerbes auf. Im Dialog der russischen und deutschen Regierungen war die Restaurierung des Gebäudes eines der wichtigsten Themen. Die Firma Wintershall, die seit fast 15 Jahren mit der Gazprom wirtschaftlich verbunden ist und bereits einige kulturelle Projekte in Russland verwirklichte, erklärte sich auf Anfrage der Bundesregierung bereit, das Projekt zu finanzieren.
Im August vergangenen Jahres konnte die Kirche wieder eingeweiht werden. Seit einem Jahr arbeiten Restauratoren außerdem an der Rekonstruktion der Fresken. Circa 1,7 Millionen Bruchstücke müssen sie wie ein Puzzle zusammensetzen. Sehr optimistisch geschätzt, werden sie im Jahr 2006 ihre Arbeit beenden. Zwei erst vor kurzem rekonstruierte Figuren sind ebenfalls im Historischen Museum zu sehen und veranschaulichen, wie mühselig diese Arbeit ist.
Puzzlen mußten auch Professor und Studenten der Hochschule für Gestaltung. 210 Pausen, 100 Schwarz-Weiß- Fotos und einige farbige Reproduktionen der Fresken wurden für die virtuelle Führung digitalisiert. Dass dies überhaupt möglich war, verdanken die Designer der umfangreichen Untersuchung und Dokumentation des Bauwerks Anfang des 19. Jahrhunderts. Da lediglich das vor der Zerstörung gesammelte Material verwendet wurde, sind die Zeichnungen im virtuellen Rundgang leider oft nicht mehr im Detail und in Farbe zu erkennen. Ein Besuch lohnt sich trotzdem.
Anhand einer Art Joystick kann jeder Besucher des Historischen Museums nun individuell durch die Kirche und ihre Vorhalle schlendern (sogar die Schritte sind zu hören) und ihre Bemalung bis unter die Kuppel bewundern. Dabei muss er trotz aller Realiy-Effekte auf dem Boden der Tatsachen bleiben. „Fliegen geht nicht“, sagt Kracke. Wir sind ja nicht in Disneyland.
(sp/.rufo) |