Von Stephanie Prochnow, Moskau. Die Staatsanwaltschaft hat gestern gegen das Sacharow-Museum ein Verfahren wegen der Verbreitung religiöser Anfeindungen eröffnet. Grund für die Anklage ist die Ausstellung "Vorsicht Religion", die im Januar 2003 in dem Museum zu sehen war. Die Präsentation war damals von sechs orthodoxen Messdienern gestürmt worden, die Farbbeutel auf die Exponate warfen und Parolen wie "Gotteslästerung" und "Ihr seid verdammt" an die Wände sprühten.
Die Ausstellung war eine kritische Auseinandersetzung von über 40 Künstlern mit der Orthodoxie. Der in den USA lebende Alexander Kosolapow etwa schockierte das Publikum mit einem Werbeplakat, auf dem Jesus deklamiert: "Coca-Cola - This is my blood". Ira Waldron fertigte einen Wandteppich auf dem sie das Lamm Christus als Klonschaf Dolly darstellt – ein Hinweis auf moderne Ersatzreligionen.
Die Ermittler kamen jetzt zu dem Schluss, dass „Vorsicht Religion“ in "demonstrativer Form erniedrigende und beleidigende Beziehungen zur christlichen Religion im allgemeinen und zur orthodoxen Kirche im besonderen fördert." Museumsdirektor Juri Samodurow erklärte die Anschuldigungen für falsch.
Bereits kurz nach dem Anschlag hatte Metropolit Kirill, der Vorsitzenden des kirchlichen Außenamtes, die Schau eine „direkte Provokation“ genannt, die „die Gefühle der Gläubigen verletze“. Das Patriarchat bezeichnete „Vorsicht Religion“ als eine "eindeutige Gotteslästerung". Christliche Symbole seien geschändet worden.
Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst sowohl gegen die Kunstschänder als auch gegen das Museum ermittelt, stellte das Verfahren gegen die Randalierer aber im August wieder ein. Samodurow beantragte, die Ermittlungen gegen die Vandalen wiederaufzunehmen – und scheiterte. Stattdessen haben sich die Aussteller jetzt ihrerseits wegen "Schürens religiöser Konflikte" zu verantworten. Sollten Samadurow, sein Kurator oder die Künstler verurteilt werden, drohen ihnen Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren.
Der Streit zwischen Künstlern und radikalen Kirchenleuten in Russland schwelt seit mehreren Jahren: 1998 hatte Awdej Ter-Oganjan bei einer Performance entweihte Ikonen zum Verkauf angeboten. Je nach Wunsch seiner Kunden bespuckte, übermalte oder zerstörte er die Heiligenbilder. Nach Protesten aus Kirchenkreisen erhob die Staatsanwaltschaft gegen Ter-Oganjan Anklage, der daraufhin nach Prag floh.
Oleg Mawromati, der sich einen Tag vor Ostern 2000 nahe der Moskauer Nikolaus-Kirche unter dem Schild "Ich bin nicht Gottes Sohn" ans Kreuz schlagen ließ, brachte sich nach Bulgarien in Sicherheit. Trotz dieser Vorgeschichte war Museumsdirektor Juri Samodurow überrascht, dass die Proteste gegen seine Ausstellung so heftig ausfielen.
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion erfreut sich die orthodoxe Kirche wachsender Beliebtheit. Viele Menschen suchen nach einer neuen Identität. Die Wiedergeburt der Orthodoxie ist aber auch Resonanzboden für nationalistische Puristen, die Rückbesinnung auf russische Kultur und Moral predigen.
„Wir haben ein fundamentales Problem“, kommentierte der Leiter der Abteilung für aktuelle Kunst in der Tretjakow-Galerie, Andrej Jerofejew, die Ereignisse um die Ausstellung „Vorsicht Religion“. „Die Kirche akzeptiert nicht, dass ihre Vorstellungen von der Gesellschaft kritisiert werden. Aber genau das macht eine Zivilgesellschaft aus.“ |