Moskau. Gestern begann in Moskau das erste Festival für modernes Musiktheater. Die Veranstaltung eröffnete mit dem Film „Schwarz auf weiß“ des deutschen Komponisten Heiner Goebbels. Außerdem gab das Orchester des Geigers Gidon Kremer „Kremerata Baltika“ eine Kostprobe seines Könnens. Innerhalb der kommenden drei Wochen werden weitere Höhepunkte moderner Musik zu hören sein – unter anderem von Phillip Glass.
Es sei geradezu selbstverständlich das Festival mit Heiner Goebbels zu eröffnen, erklärte der Komponist und Initiator der Veranstaltung, Alexander Bakschi: „Er ist die zentrale Person des modernen Musiktheaters“. Außerdem habe Goebbels als einziger eine vollkommen neue Bühnensprache durchgesetzt, lobte Bakschi seinen Kollegen.
„Musiktheater darf nicht nur die Fortsetzung von Theater mit anderen Mitteln sein, sondern benötigt eine komplexere Form“, erklärte Goebbels seine Arbeitsweise am Sonntagnachmittag bei einem „Runden-Tisch-Gespräch“. Die Regie müsse über die narrative Erzählform hinauskommen, die Prioritäten abstecke und Grenzen setze. Als Regisseur inszeniert Goebbels seine Kompositionen, indem er verschiedene Genres, wie Worte, Musik, Geräusche miteinander verknüpft und gleichzeitig musikalisch kulturübergreifend arbeitet.
„Theater ist keine Botschaft, sondern die Konfrontation mit Erfahrungen“, glaubt Goebbels, der gerne die Rolle der Schauspieler unbesetzt lässt oder den Musikern überträgt. Er will er das Zentrum eines Themas nicht besetzen, sondern „umstellen“. Die Zuhörern haben alle Freiheiten, sind aber gleichzeitig stark gefordert: „Eine Aneignung kann nur funktionieren durch die Summe der Phantasie und Vorstellung der Zuschauer“, erklärt Goebbels.
Drei seiner Bühnenstücke hat Goebbels bisher verfilmt. „Schwarz auf Weiß“ entstand 1997. Das Stück hat nicht – wie die meisten Aufführungen – eine zentrale Handlung, sondern gleich vier:
Es ist eine Inszenierung der Parabel „Schatten“ von Edgar Alan Poe, gleichzeitig ist es jedoch eine Hommage an das 18köpfige Ensemble „Modern“, das in dem Film nicht nur musiziert, sondern auch schauspielert und singt. Außerdem handelt das Stück von der Abwesenheit des Autors, der bei Poe schon längst in das Reich der Toten entschwunden ist. In diesem Sinne ist das Bühnenwerk auch als Requiem für den Sprecher Heiner Müller gedacht, mit dem Goebbels viel zusammengearbeitet hat und der während der Arbeit an „Schwarz auf weiß“ verstarb.
Verstorben, das sind in der Parabel von Poe viele Tausende. Dahingerafft von einer Pestilenz, einer Gottesgeißel. Sieben Überlebende kommen in einer Halle zusammen, um zu reden, zu spielen, zu singen und zu tanzen. Doch glücklich sind sie nicht. Über ihnen schwebt der Schatten des Todes, der schließlich vor den Verbliebenen erscheint und sie mit der Stimme der verstorbenen Freunde anspricht – ein packendes und verstörendes Stück, das Heiner Goebbels stark umgesetzt hat.
Wer die preisgekrönte Filmvorführung am Sonntag verpasst hat, sollte sich die zweite Chance Montag Abend 19:00 Uhr im DOM nicht entgehen lassen. Heute spielt ebenfalls das Orchester „Kremerata Baltika“ im „Meschdunarodni Dom Musiki“. Das Ensemble hatte schon am ersten Abend vor Goebbels Film einige Stücke unter anderem von Alexander Bakschi und Michael Nyman aufgeführt.
Das Festival für modernes Musiktheater läuft noch bis Ende des Monats. Höhepunkte des Spektakels wird die Aufführung „Aus dem roten Buch“ von Alexander Bakschi, am 23. November und die Aufführung des ersten Teils einer Triologie „Kouaanisquatsi Live“ des weltberühmten amerikanischen Komponisten Phillip Glass und seines Ensembles am 28. und 29. November.
(sp/.rufo) |