Von Ulrike Baur, Moskau. Nach zehn Tagen mit 449 Filmvorführungen und ca.128000 Zuschauern schloss das 25. Moskauer Internationale Kinofestival am Sonntagabend mit der offiziellen Preisverleihung der Grand Jury im Puschkinskij Kinosaal. Neunzehn Filme, darunter drei russische, aber kein einziger deutscher, nahmen am Hauptwettbewerb teil, in dem fünf Preise vergeben wurden.
Den Jury-Vorsitz hatte der russische Regisseur Sergej Bodrow, Vater des im letzten Jahr bei Dreharbeiten verschollenen Kult-Schauspielers Sergej Bodrow junior. Die weiteren Mitglieder waren die Regisseure Agnieszka Holland (Polen), Ken Russell (Großbritannien), Babak Payami (Iran) und Mika Kaurismäki (Finnland) sowie die Schauspieler Olga Budina (Russland) und Moritz Bleibtreu (Deutschland).
Vor der Preisverleihung der Grand Jury waren im Laufe des Tages schon die Preise der FIPRESCI (Fédération Internationale de la Presse Cinématographique), die Preise der Russischen Filmkritiker und der Publikumspreis vergeben worden. Jeweils ein Preis ging an “Dancing in the Dust” (Iran) und “The End of a Mystery” (Spanien). Der russische Debütfilm “Koktebel” sowie “Skagerrak” des Dänen Sören Kragh-Jacobsen, der 1999 den dritten Dogma-Film “Mifune”, drehte, bekamen je zwei Preise und waren somit auch die Favoriten für den Preis der Grand Jury. Es kam dann aber doch ein wenig anders.
Der Preis für die beste weibliche Hauptrolle ging nach Japan, an Shinobu Ootake, die Hauptdarstellerin des Films “The Owl”, der für die beste männliche Hauptrolle an den Hauptdarsteller des iranischen Films “Dancing in the Dust”, Faramaz Gharibian.
Der Preis für die beste Regie ging an Jang Ju-Hwan für “Save the Green Planet”, was nicht nur für einige Zuschauer, sondern vor allem für den Preisträger selbst eine große Überraschung war. Der schüchterne Ju-Hwan, der bei seiner Pressekonferenz so leise gesprochen hatte, dass er kaum zu verstehen war, nahm seinen Preis sprachlos vor Freude entgegen. Als er sich gefasst hatte, dankte er erst seiner ganzen Crew, mit der er “drei Jahre zusammengelebt” und an diesem Film gearbeitet hatte, dann seiner Mutter, und küsste schließlich – sonst tat das keiner der Preisträger - den “Silbernen Georg”.
“Save the Green Planet” war, Kurzfilme nicht eingeschlossen, das Erstlingwerk des “Kinomaniacs” Ju-Hwan – so bezeichnete ihn ein Kritiker, denn im Film wimmelt es von Filmzitaten aus Klassikern wie denen von Fellini und Kubrick. Die Auszeichnung kam aber vor allem deswegen so unerwartet, weil der Film daheim in Südkorea nach einer Woche bereits von den Kinoleinwanden verschwunden war - niemand hatte ihn sehen wollen. Jetzt werde der Film nach sechs Monaten auch in Südkorea wieder ins Programm gestellt, so Ju-Hwan. Auf die Frage, was er mit dem Preisgeld machen werde, antwortete Ju-Hwan: “Meinen nächsten Film finanzieren.”
Der Sonderpreis der Grand Jury ging an “Koktebel”, ebenfalls ein Debütfilm der beiden russischen Regisseure Boris Chlebnikow und Alexej Popogrebski, beide Jahrgang ’72.
Den “Goldenen Georg”, den Hauptpreis, gewann aber “The End of a Mystery”, eine spanisch-italienische Ko-Produktion unter der Regie des Spaniers Miguel Hermoza, und damit der Film, der auch schon den Publikumspreis gewonnen hatte. Das Jurymitglied Olga Budina kommentierte nach der Preisverleihung: “Ich hätte den Hauptpreis gern an einen russischen Film verliehen. Aber wir wollten einen Film auszeichnen, der dem Publikum gefällt.” – Und was könnte die Sympathien der Zuschauer klarer anzeigen als der Publikumspreis. Nach Angaben von Budina seien außer dem Siegerfilm noch der russische Streifen “Progulka” (englischer Titel: “The Stroll”) und “To Kill a King” des Briten Mike Barker in die Endauswahl gekommen.
Moritz Bleibtreu, der beim Festival nicht nur als Jurymitglied, sondern auch als einer der Hauptdarsteller im deutschen Film “Solino” auftrat, der außerhalb des Wettbewerbs gezeigt wurde, stimmte in einem Punkt mit Olga Budina überein: “`Progulka´ hat mir persönlich sehr gefallen.“ Er verstehe nicht, sagte der Schauspieler zu russland-www.aktuell.RU, warum kein einziger deutscher Film am Wettbewerb teilgenommen habe. “Mir fallen spontan mindestens sechs neue deutsche Filme ein, die besser waren, als mehrere der Filme hier im Wettbewerb, allen voran “Lichter” von Hans Christian Schmid, der auf der Berlinale 2003 gezeigt wurde”, so Bleibtreu.
Wenn “Progulka” also bei der Jury so gut ankam, stellt sich die Frage, warum der Film trotzdem keinen einzigen Preis gewonnen hat, weder einen der Grand Jury noch einen in den drei anderen Wettbewerben. Das mag daran liegen, dass Kirill Raslogow, Programmdirektor des Festivals, in einem Interview gesagt hatte, “Progulka” sei ein “extrem schwacher Film”, woraufhin ihn der Regisseur des Films, Alexej Utschitel, zum Rücktritt aufforderte.
Raslogow zufolge seien die Filme für den Wettbewerb ausgewählt worden, um ”eine breite Spannweite von ethischen Einstellungen und Themen” zu präsentieren. Die Organisatoren wollten “ jungen Regisseuren aus verschiedenen Ländern das Wort geben und vor allem auch Debütwerke miteinschließen”. Vielleicht sei genau das der Grund für ein relativ schwaches Wettbewerbsprogramm insgesamt, mäkelten einige Kritiker und Zuschauer. Nikita Michailkow, Präsident des Festivals, sagte dazu, er wünsche sich für die Zukunft ein einheitlich hohes Niveau der teilnehmenden Filme.
|