St. Petersburg. Reichlich Mut bewies die Jury des ersten internationalen Architekturwettbewerbs in Russland seit über 70 Jahren: Der Franzose Dominique Perrault wird für das weltberühmte Mariinski-Theater eine neue Bühne bauen. Mitten in der fast Neubau-freien St. Petersburger Altstadt soll ein gewaltiger goldener Kokon entstehen, der das eigentliche Theater überspannt.
Die goldene Farbe der luftigen, halbtransparenten Hülle war das einzige Zugeständnis, das Perrault an die historisch einzigartige Petersburger Stadtlandschaft machte: Hier erheben sich goldene Kuppeln und Turmnadeln über gut 30 Quadratkilometer Altbausubstanz. Denn mit der Hauptstadtverlegung nach Moskau war die Zarenmetropole unter eine architektonische Käseglocke geraten: Die einzige Kunstform, die das Zentrum von „Russlands Kulturhauptstadt“ nicht bieten kann, ist moderne Architektur.
Doch nun wird Petersburg aus dem Dornröschen-Schlaf geweckt – mit einem Paukenschlag aus dem Mariinski-Theater. Das unter Direktor Valeri Gergijew zu neuem Weltruhm aufgestiegene Haus für Oper und Ballett braucht dringend mehr Raum. Das altehrwürdige Gebäude am Theaterplatz deckt die Bedürfnisse der Mariinski-Truppe nur zu 40 Prozent und ist technisch hoffnungslos veraltet. Zur Erweiterung wünschte sich Gergijew einen Neubau auf einer engen Abbruch-Parzelle gleich hinter dem Theater.
Der Kulturpalast mit einem 2000-Sitze-Saal soll zugleich Russlands Auferstehung aus den Sowjet-Ruinen bezeugen – und dessen erneute Öffnung zum Rest der Welt: Erstmals seit 1931 wurden zu einem Architekturwettbewerb neben russischen Büros auch wieder internationale Planer-Stars geladen. Sechs der elf Auserwählten waren Ausländer, darunter auch Mario Botta aus der Schweiz und Hans Hollein aus Österreich. Insider rechneten von vornherein damit, dass ein Nicht-Russe gewinnen wird: Zum einen kann das architektonisch lange abgekapselte Land keine Star-Planer von Weltniveau aufbieten. Zum anderen erwartet sich Gergijew von seiner neuen Bühne auch einen großen Werbeeffekt: Das Gebäude selbst muss also Attraktion genug sein.
In diesem Sinne war Dominique Perrault mutiger als alle anderen Bewerber: Er konstruierte einen mit schwarzem Marmor verkleideten Bühnen-Zweckbau nebst all der geforderten Proberäume und sonstigen Flächen, den er jedoch zu zwei Dritteln unter einer goldenen, unregelmäßig geknickten Hülle versteckte. Anders als bei seinen bisherigen Projekten, dem Berliner Olympia-Velodrom nebst Schwimmhalle oder dem neuen Innsbrucker Rathaus – allen voran jedoch die Pariser Nationalbibliothek, treten die geometrischen Körper völlig in den Hintergrund. „Wir sind wie Modedesigner herangegangen: Wir haben für das Theater ein Kleid geschneidert, das Emotionen wecken soll“, erklärte er nach dem Sieg. Dann bezeichnete er seine Dachkonstruktion als „Landschaft, auf der Licht und Wetter spielen sollen“.
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• Bühne frei für die Architekten (11.6.03)
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St. Petersburgs historische Skyline bekommt also bis zum Jahr 2009 neben Isaaks-Kathedrale und Admiralität ein weiteres goldenes Wahrzeichen. Das Stadtbild springt damit vom 19. direkt ins 21. Jahrhundert – vorausgesetzt, der russische Staat finanziert den Bau des „Mariinski II“ wie verspochen mit ca. 100 Millionen Dollar. Und die berüchtigten russischen Baubürokraten und Petersburgs kompromisslose Denkmalschützer perforieren den Entwurf nicht schon in der Planungsphase durch Paragrafen-Beschuss.
(ld/.rufo)
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