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30-04-2003 Kultur

“Die Party ist vorbei”

Georg M. Oswald, Foto: ProchnowVon Stephanie Prochnow. Moskau. Der Schriftsteller Georg M. Oswald war in mehreren Städten Russlands auf Lesetour und stellte sein kürzlich auf Russisch erschienenes Buch “Alles was zählt” vor. In einem Interview mit russland.Ru erzählt Oswald über das Deutschlandbild russischer Studenten und sein Verständnis von Pop-Literatur.

.RU:  Was hat Sie nach Russland verschlagen?
Oswald: Das Goethe Institut hat mich zu dieser Reise nach Nowosibirsk, Omsk, Krasnojarsk, Jekatarinenburg und Moskau eingeladen, nachdem mein Buch hier erschienen ist – was ich vorher gar nicht wusste. Ich hatte nur gehört, dass eine Übersetzung geplant war.

.RU:  Haben Sie denn irgendeine persönliche Beziehung zu Russland?
Oswald: Keine direkte. Ein Cousin meiner Frau lebt in Nowosibirsk. Das war bisher der einzige Kontakt nach Sibirien. In Moskau war ich schon mal vor zwei Jahren für eine Lesung. Ich hatte also schon einen gewissen persönlichen Eindruck von dem Land.


Georg M. Oswald beim Vortrag, Foto: Prochnow.RU: Sie kommen gerade aus Sibirien. Was haben Sie dort für neue Eindrücke gewonnen?
Oswald: Sehr viele. Mein Haupteindruck bei den Lesungen war, dass die Leute sehr gut informiert sind. Die Studenten haben auf hohen Niveau mit mir über das Buch diskutiert. Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass das Russlandbild, das man in Deutschland hat, sehr ergänzungsbedürftig ist. Die Medien berichten vor allem über die Russenmafia etc., aber über das Leben der Leute erfährt man wenig. Deshalb war es für mich eine sehr bereichernde Reise.

Deutsche und russische Verhältnisse sind vergleichbar

.RU:   Wie ist umgekehrt Ihr Eindruck von dem Deutschlandbild der Russen? Ihr Roman vermittelt schließlich auch ein bestimmtes Bild von Deutschland.
Oswald: Ja, ich hoffe zumindest, das er das tut. Zum allgemeinen Deutschlandbild kann ich wenig sagen, da ich nur Russen kennengelernt habe, die sehr gut Deutsch sprechen und sich mit Literatur befassen – also eine Elite. Die hatten viel Ahnung, wie es in Deutschland aussieht. Was mir außerdem aufgefallen ist: Sie haben das Buch stark auf die russischen Verhältnisse bezogen und auch Parallelen gefunden. Und ich hatte den Eindruck, dass sie über die gegenwärtigen Verhältnisse in Deutschland nicht überrascht waren.

.RU:  Das ist ja ein wenig errschreckend. Schließlich ist Ihr Buch eine Art Abrechnung mit dem Neoliberalismus und der Protagonist ein egozentrischer Karrieretyp.
Oswald: Das Buch zeichnet natürlich sehr überspitzt einen bestimmten gesellschaftlichen Bereich. Für mich war es wichtig, die Welt der Banken und des Geschäfts zum literarischen Gegenstand zu machen. In der deutschen Literatur gab es in den 20er Jahren mal eine Zeit, als diese moderne Welt eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Literatur hatte. Das ist dann aber wieder in Vergessenheit geraten und andere Themen waren im Vordergrund. In den 90er Jahren hat sich auch Deutschland sehr verändert. Davon handelt dieses Buch, und daher erzählt es durchaus etwas über die moderne Lebenswirklichkeit in Deutschland.


Autogrammjäger, Foto: Prochnow.RU: Viele deutsche Literaten beschäftigen sich mit der Analyse ihrer eigenen Gesellschaft. Meinen Sie nicht, dass angesichts der veränderten weltpolitischen Lage eine globalere Sichtweise angebracht wäre?
Oswald: Ich glaube man muss unterscheiden zwischen der Literatur vor dem 11. September und danach. Wie man überhaupt zwischen der Welt davor und danach unterscheiden muss. Durch dieses Ereignis hat sich vieles verändert, auch der Blick der Menschen auf die Gesellschaft. Ich glaube aber grundsätzlich, dass es vernünftig ist, wenn sich Schriftsteller mit der Welt auseinandersetzen, in der sie leben. Man kann alles vor der Haustür finden, was es auch im Großen gibt. Natürlich hat sich vieles verändert, aber die Literatur ist ein langsames Medium und ich glaube, dass die Romane, die zukünftig geschrieben werden, diesen Veränderungen Rechnung tragen werden. Im Prizip gebe Ihnen vollkommen Recht: Die Party ist vorbei.

Die Bezeichnung „Pop-Literatur“ ist ein Marketing-Trick

.RU:  A propos Party: Sie werden zu den sogenannten Pop-Literaten gezählt. Was können Sie mit dieser Bezeichnung anfangen?
Oswald: Das ist ein schwieriger Begriff, weil man darunter alles mögliche verstehen kann. Es gibt tatsächlich eine Pop-Literatur, von der ich sagen würde, dass sie den Namen verdient, weil sei bestimmt literarische und technische Verfahrensweisen entwickelt hat, die ursprünglich mit dem Pop zu tun hat, der in Richtung Andy Warhole geht. Also sehr reelle, experimentelle Verfahrensweisen. Das ist allerdings eine Literatur, die heute gar nicht mehr unter dem Begriff Pop-Literatur verstanden wird. Heute nennen sich so die Erlebniserzählungen sehr junger Menschen, die beschreiben, wie sie in die Disko gehen und was sie da alles erleben. Das sehe ich nicht als Pop-Literatur, sondern nur als Markt-Label und Marketing Trick. Damit habe ich nichts zu tun.

.RU:  Ein Kritiker hat Sie als Moralisten bezeichnet. Sind sie das?
Oswald: Das ist eine Frage, die ich den Kritikern überlassen möchte. Ich habe kein Problem damit, wenn jemand „Alles was zählt“ als moralisches Buch betrachtet. Aber moralisch ist im Deutschen ein sehr problematischer Begriff. Ich will niemanden belehren. Ich will nur versuchen, Geschichten zu erzählen, die noch keiner erzählt hat.

.RU:  Was erzählen Sie als nächstes?
Oswald: Ich habe gerade einen Roman fertig, der schon im Druck ist und im Herbst erscheinen wird. Er heißt „Im Himmel“: Ein Zwanzigjähriger verbringt seinen letzten Sommer zu Hause und erlebt als Beobachter eine recht turbulente Familiengeschichte bei den Nachbarn. Es ist eine Art Abschied von seiner Jugend, den der Protagonist erzählt. Insofern eine klassische Geschichte über das Erwachsenwerden.

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