St. Petersburg. Die ursprünglich für Samstag geplante Rückgabe von 364 Werken alter Meister an die Bremer Kunsthalle entwickelt sich in Russland zu einem Polit-Krimi: Kulturminister Michail Schwydkoj wurde heute von der Generalstaatsanwaltschaft vorgeladen und schriftlich verwarnt: Wenn er an seinen Plänen zur Restitution der sogenannten „Baldin-Sammlung“ festhalte, gerate er mit dem Gesetz in Konflikt.
Schwydkoj hatte angekündigt, die 362 Zeichungen und zwei Gemälde von Tizian, Dürer, Rembrandt, Van Gogh, Manet, Toulouse-Lautrec und anderen Kunst-Koryphäen am 29. März ohne direkte Gegenleistung der Bremer Kunsthalle zu übergeben. Damit würde sich posthum der Wunsch des ehemaligen sowjetischen Offiziers und Kunstkenners Viktor Baldin erfüllen, der die Bilder 1945 in einem Brandenburger Schloss sicher stellte.
Doch die geplante Heimkehr nach 58 Jahren erweckte einen Sturm unter den Hardlinern in der Beutekunst-Debatte. Nikolaj Gubenko, ehemals sowjetischer Kulturminister und heute Vorsitzender des Kulturkomitees der Duma, mobilisierte das Parlament zu einer Entschliessung über die Unzulässigkeit der Übergabe. Dies wiederum rief die russische Generalstaatsanwaltschaft auf den Plan. Sie prüfte den Vorgang und wirft dem Kulturminister nun Versäumnisse vor: Entgegen der Anforderungen des „Gesetzes über die Ein- und Ausfuhr von Kulturgütern“ sei die darin geforderte Expertise über die Kunstwerke nicht angefertigt worden. Auch hätte die deutsche Seite keine Unterlagen bereit gestellt, die ihre Eigentumsansprüche bekräftigten. Hingegen sei der russische Staat durch die langjährige Verwahrung der angeblich „besitzerlosen Gegenstände“ zu deren rechtmässigen Eigentümer geworden.
Die Vorwürfe mögen formell zutreffen, sind aber in jedem Fall realitätsfern: Die Baldin-Sammlung wurde schon 1992 in der Eremitage ausgestellt. Dies war die erste von vielen sensationellen „Beutekunst-Ausstellungen“, wie üblich wissenschaftlich gründlich aufgearbeitet. Damals hiess es, dass die Rückgabe beschlossene Sache sei. Doch seitdem haben sich die Restitutions-Fronten verhärtet: In Russland gilt inzwischen ein Gesetz, dass die nach dem Krieg requirierte „Trophäenkunst“ zu unveräusserlichen Staatseigentum erklärt. In Sachen der „Baldin-Sammlung“ greift das Trophäengesetz jedoch nicht, weshalb die Rückgabe-Gegner jetzt andere Argumente suchen.
Die Zeichungen wurden damals nicht auf staatliche Anordnung beschlagnahmt, sondern von Viktor Baldin auf eigene Initiative nach Russland gebracht: Im Schloss Karnzow bei Kyritz entdeckte der gelernte Restaurator das bereits von Rotarmisten und Landbevölkerung geplünderte Depot der Bremer Kunsthalle und rettete über Nacht, was noch zu retten war. In einem grossen Koffer schaffte Baldin seinen Schatz nach Moskau. Auf dem Heimweg handelte der Kunstkenner seinen Kameraden, die sich vorrangig für Darstellungen nackter Frauenleiber interessiert hatten, noch so manche Pretiose ab: Für einen Christuskopf von Dürer gab er seine neuen Stiefel hin. Drei Jahre später überliess Baldin die Sammlung dem Moskauer Architekturmuseum, dessen Direktor er später selbst wurde. Schon 1974 wandte er sich ans Zentralkomitee der KPdSU mit der Bitte, die Kunstwerke nach Bremen zurück zu erstatten. Doch dafür war die Zeit nicht reif.
Baldin, inzwischen Bremer Ehrenbürger, starb 1997. Aber auch sechs Jahre nach seinem Tod ist sein Wunsch offenbar nicht so leicht zu erfüllen – obwohl Kulturminister Schwydkoj davon überzeugt ist, mit der Rückgabe der „privaten Trophäen“ Baldins nichts anderes als die aktuellen russischen Gesetze umzusetzen. Dass der allseits geschätzte Kunstretter damit juristisch auf eine Stufe mit ordinären Plünderern gesetzt wird, stösst in Russland allerdings selbst Befürwortern der Rückgabe übel auf. Ebenso wie die Tatsache, dass es wegen der von Schwydkojs Behörde vorgelegten Eile weder in Moskau noch in St. Petersburg eine „Abschiedsausstellung“ der illustren Kollektion geben soll.
(ld/.rufo)
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