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Radeln gegen G-8 (Foto: Deeg/.rufo)
Radeln gegen G-8 (Foto: Deeg/.rufo)
Donnerstag, 20.07.2006

Ein Schweizer als extremstes Opfer des G8-Gipfels

Lothar Deeg, St. Petersburg. Der G8-Gipfel ist vorbei, aber einige G8-Gegner sitzen als Folge beinahe weißrussischer Verhältnisse noch im Gefängnis. Einer von ihnen ist der Schweizer Greenpeace-Aktivist Adrian Sauter.

Vor und während des G8-Gipfels in St. Petersburg wurden dort 140 bis 150 Personen festgenommen und zu Haftstrafen von bis zu 15 Tagen verurteilt, erklärten am Mittwoch Vertreter des „Legal Team“ der G8-Gegner bei einer Pressekonferenz des Petersburger IRP (Instituts der Regionalpresse).

Rechtlicher Ausnahmezustand in Petersburg


Dies seien jedoch nur die Fälle, von denen die Juristen-Initiative zur Verteidigung der Rechte der Demonstranten erfahren habe. „Faktisch herrschte in der Stadt Ausnahmezustand, ohne dass dieser offiziell erklärt wurde“, meint der junge Jurist Dmitri Makarow. Menschenrechte und Gesetze, so das Fazit des „Legal Team“, hätten in diesen Tagen in Petersburg einfach nicht gegolten.

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Die Polizei sowie die Innenministeriumstruppen OMON unterbanden sofort jede Aktion von Putin- oder G8-Gegnern, sofern sie außerhalb des dafür freigegebenen Stadiongeländes stattfinden sollten – schließlich hatten die städtischen Behörden sonst einfach nichts genehmigt. Entsprechend blieb dieser G8-Gipfel „ungewöhnlich friedlich“.

Was sich dann allerdings in den Polizeibussen, auf den Revieren und vor eigens zur Aburteilung der G8-Gegner bereitstehenden Gerichten abspielte, habe mit rechtsstaatlichen Prinzipien gar nichts mehr zu tun gehabt. „Vielen wurde von der Polizei als Festnahmegrund einfach ‚wegen des Gipfels’ genannt“, so Makarow.

Gerichte produzierten Schuldsprüche am Fließband


Auch die formell zur Klärung der Umstände und Festlegung der Strafen aufgebotenen Gerichte trugen dann wenig zur Wahrung wenigstens eines Minimums an juristischer Fairness bei: Reihenweise wurden die Verhafteten abgeurteilt – so widersprüchlich und vorfabriziert die von den Beamten ausgefertigten Protokolle und so dünn die Beweisdecke in jedem Einzelfall auch war.

„Die Behörden waren darauf vorbereitet, Horden gewalttätiger Antiglobalisten zu neutralisieren, aber nicht auf Leute, die keinen Widerstand leisteten und in Polizeigewahrsam auf der Wahrung ihrer Rechte bestanden“, so Natalja Swjagina vom “Legal Team“.

„Vor Gericht wogen widersprüchliche Protokolle und das Wort eines stammelnden Polizisten, der sich an nichts genau erinnern konnte, mehr als die Aussagen von zwei ansonsten unbeteiligten Zeugen, die alles mit eigenen Augen gesehen hatten“, so der Moskauer Ökologe Iwan Ninenko.

Gefängnis für Fotos von einer Demo


Er verbrachte drei Tage in Haft, nachdem er am Newski Prospekt den Polizeieinsatz zur Auflösung einer Sitzblockade fotografiert hatte. Das gleiche „Vergehen“ brachte dem ukrainischen Fernsehjournalisten Maxim Budkewitsch zwei Tage Haft ein.

Da die Teilnahme an einer nicht genehmigten Demonstration nach russischen Gesetz höchstens mit einer Geldstrafe von bis zu 1.000 Rubel (ca. 30 Euro) geahndet werden kann, wurde den Festgenommenen meist Schwerwiegenderes unterstellt: etwa Widerstand gegen die Staatsgewalt oder Beamtenbeleidigung – was laut Budkewitsch schon angesichts der Übermacht der muskelbepackten OMON-Leute einem Selbstmord gleichgekommen wäre.

Urteile wegen öffentlichem Fluchen und wilden Pinkeln


Während viele der Demonstranten am Gipfel-Wochenende nach dem Prinzip „Freilassung nach der G8“ zu zwei oder drei Tagen Haft verurteilt worden wären, traf es die schon im Vorfeld aufgegriffenen Aktivisten härter: Sie mussten - und müssen - bis zu 15 Tagen absitzen. Als Haftgrund präsentierte die Polizei dabei zumeist „Rowdytum“, dass sich durch lautes öffentliches Fluchen geäußert habe.

„Da Ausländern ohne Russisch-Kenntnisse dies schwer zu unterstellen ist, bezichtigte man sie einfach des wilden Pinkelns“, so Makarow. Am extremsten, „geradezu kafkaesk“ sei der Fall des Schweizers Adrian Sauter, der gemeinsam mit zwei deutschen Studenten per Velo angereist war. Die drei waren der spärliche Rest einer „Anti-G8-Fahrradkarawane“, die über einen Monat vorher in Berlin gestartet war.

Schweizer wurde nachts aus der Wohnung geholt


Die beiden Deutschen waren immerhin noch im Freien vor dem Wohnblock festgenommen worden, wo sie bei russischen Freunden untergekommen waren. Sauter ergriff die Polizei jedoch erst eine Nacht später bei einer – nach Ansicht des „Legal-Teams“ - illegalen Durchsuchung der von den Behörden offenbar als höchst verdächtig betrachteten Wohnung.

Doch auch dieser Umstand und ein Rechtsanwalt bewahrte ihn nicht davor, dass er vor Gericht von zwei Polizisten beschuldigt wurde, zu dieser Zeit einige Häuser weiter uriniert zu haben, erklären Mitstreiter. Seine Zehn-Tage-Strafe läuft am Freitag Nachmittag ab. Petersburger Freunde bringen ihm seither täglich Gemüse und Obst ins Gefängnis, da für den Vegetarier die russische Anstaltskost ungenießbar ist.

Deutsche Radfahrer kamen früher frei – der G8 zuliebe


Sauters Velo- und später Zellenkameraden aus Bielefeld, ebenfalls wegen Pinkelns zu zehn Tagen verurteilt, wurden dagegen kurz vor Beginn des G8-Gipfels freigelassen und sofort nach Estland abgeschoben. Eine offizielle Begründung dafür bekamen sie nicht - doch liegt sie auf der Hand: Deutschland ist Mitglied der G8 und die Bundesregierung hatte noch vor dem Gipfel kein Geheimnis daraus gemacht hatte, dass sie diesen unschönen Fall dort zur Sprache bringen könnte.

Schweizer Konsulat weniger aktiv?


Aus den Kreisen der Petersburger G8-Gegner ist zu hören, dass sich das Generalkonsulat der Schweiz in St. Petersburg – anders als etwa die Vertretungen Deutschlands und der Ukraine – nur sehr spät und verhalten für den grundlos verhafteten Landsmann eingesetzt habe. Generalkonsul Urs Strausak erklärte am Mittwoch per Telefon, Sauter genieße den in solchen Fällen üblichen konsularischen Schutz. Das bedeute, dass sich das Konsulat versichert habe, dass ein Anwalt mit dem Fall betraut sei und dass Haftbedingungen und Gesundheit des Schweizers in Ordnung seien. Man habe Sauter inzwischen drei Mal besucht.

Budkewitsch und Ninenko, die bis Dienstag mit Sauter im gleichen Zellentrakt saßen, bestätigten, dass er wohlauf sei. Allerdings fürchte er, dass man ihm nach dieser Haftstrafe „für nichts“ noch etwas anhängen werde, um die Absurdität seiner Verurteilung zu überdecken. Auch eine Abschiebung und Annullierung seines Visums wäre eine Strafe für den 30 Jahre alten Schreiner aus Emmental: Wie seine Mutter telefonisch mitteilte, hatte der Umwelt- und Greenpeace-Aktivist Sauter urspünglich vor, nach dem G8-Gipfel noch ein oder zwei Monate durch Russland zu reisen.

Nur für Weißrussen war alles halb so schlimm


Die einzigen ausländischen Verhafteten, die die von den Petersburger Behörden an den Tag gelegten Repressions-Maßnahmen für nicht so schlimm befunden hätten, seien Aktivisten aus Weißrussland gewesen, berichtete Juristin Swjagina: Oppositionelle aus dem Lukaschenko-Staat waren „angenehm überrascht, dass beispielsweise keine Verhaftungsprotokolle verloren gingen“.

Die Weißrussen waren aber auch die einzigen Ausländer, nach deren Arrest die Petersburger Polizei von sich aus deren Konsulat benachrichtigte. Der Minsker Diplomat, der dann auf der Wache erschien, tat laut Swjagina dann allerdings nichts, um seinen Landsleuten zu helfen, sondern notierte nur deren Passdaten - und verschwand wieder. Hierbei handelte es sich also um Amtshilfe für jenes Regime, dass in Sachen Unterdrückung oppositioneller Regungen vom Petersburger Polizeiapparat während des G8-Gipfels offenbar zum Vorbild genommen worden war.

(-ld/.rufo)



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