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Abgehängt: Der Kurswagen Thessaloniki-Moskau wartet wieder einmal auf einem Abstellgleis auf eine Mitfahrgelegenheit (Foto: Packeiser/.rufo)
Abgehängt: Der Kurswagen Thessaloniki-Moskau wartet wieder einmal auf einem Abstellgleis auf eine Mitfahrgelegenheit (Foto: Packeiser/.rufo)
Dienstag, 10.11.2009

Skopje-Moskau: Auf den Abstellgleisen des Ostens

Skopje/Moskau. Sie sind wie Fossilien der Verkehrsgeschichte. Schlafwagen der Russischen Eisenbahn fahren bis heute in viele europäische Hauptstädte - über Tausende von Kilometern und allen Billigfliegern zum Trotz.

Im Sommer können echte Bahnfreaks einmal pro Woche mit der sinnlosesten Schlafwagenverbindung des Kontinents reisen: Ein grüner Waggon aus DDR-Produktion verbindet sechs europäische Staaten, rollt von Moskau bis ins griechische Thessaloniki und wieder zurück, die einfache Fahrtzeit beträgt laut Fahrplan knapp 64 Stunden. Faktisch kann es bedeutend länger dauern.

Tag 1, 22:00 Uhr, Skopje, Republik Mazedonien


Etwa hundert Menschen springen auf, greifen hektisch nach ihren Koffern und wuchten schwere Reisetaschen über die Schultern, als sie die Lichter der Lokomotive in der Dunkelheit näherkommen sehen. Doch wieder ist es nur ein Güterzug, der durch die spärlich beleuchtete Halle des Bahnhofs rattert und bald wieder hinter einer Kurve verschwindet.

Bei Russland-Aktuell
• Zum 2. Teil der Reisereportage Skopje-Moskau
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Zum dritten Mal nur falscher Alarm. Der Nachtzug von Thessaloniki nach Belgrad ist seit anderthalb Stunden überfällig, aber bislang gab es noch nicht einmal eine offizielle Durchsage.

Wer in Deutschland schon über eine zehnminütige Verspätung seines ICE schimpft, sollte besser nie im Leben mit der mazedonischen Eisenbahn reisen. Jugoslawien war nie ein wirkliches Eisenbahnland, der praktische Nutzwert von Fahrplänen auf dem Balkan schon immer äußerst begrenzt.

Hauptstadt-Bahnhof: Fahrkartenverkauf ohne Computer


Ob es im Schlafwagen nach Moskau noch freie Plätze gab, wusste die freundliche junge Eisenbahnerin am Fahrkartenschalter nicht. Im unabhängigen Mazedonien besitzt nicht einmal der Bahnhof der Hauptstadt einen Computer.

Immerhin: Die Schalterfrau sprach passables Englisch, stellte von Hand die Fahrkarte in die russische Hauptstadt aus, knallte dicke Dienst-Stempel darauf, was das eigenartige Ticket gleich wichtiger aussehen ließ. Die Bahnfahrt Skopje-Moskau kostet mich einfach 7.146 mazedonische Dinare, doch der Schlagwagenplatz ist nicht eingeschlossen.

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Endlich, mit etwa zwei Stunden Verspätung, kommt der Zug aus Griechenland dann doch. Überfüllte Waggons, Reisende drängen sich mit ihrem Gepäck in die heruntergekommenen alten Liegewagen. Nur zum dunklen Waggon ganz am Ende des Zuges geht niemand.

"Moskau - Thessaloniki" steht in russischen und griechischen Buchstaben auf dem Zuglaufschild. Kein Licht brennt im Gang. Erst auf hartnäckiges Klopfen hin öffnet ein grauhaariger Mann mit nacktem Oberkörper die Tür, dem ein kleines silbernes Kreuz vor der Brust baumelt - offensichtlich der Schlafwagenschaffner.

Der Schlafwagenschaffner verteidigt sein Territorium


Die Bahnfahrt nach Moskau beginnt relativ skurril, denn ich darf nicht einsteigen. Statt Freude über einen Fahrgast gibt es nur Probleme. "Wie viel willst Du zahlen?" fragt der Schaffner ziemlich unwirsch. "Ist das hier etwa ein Basar?" entgegne ich, aufrichtig verblüfft. Doch das ist offenbar die falsche Antwort.

Woher ich komme, ob auch der Pass in Ordnung sei, ob ich wirklich alle nötigen Visa für alle Länder besitze. Und überhaupt, knurrt der Mann schließlich, ohne Schlafwagenkarte von der Bahnhofskasse gebe es auch kein Abteil. Dann klappt er die Tür einfach wieder zu.

Hauptsache: Ich bin mit an Bord


Zwei Wagen weiter vorne verkauft der mazedonische Liegewagenschaffner noch Schlafplätze für 8 Euro, nur bis Belgrad, aber besser als nichts. Die meisten Abteile sind schon mit Interrail-Touristen auf dem Heimweg vom Griechenland-Urlaub belegt.

Die nüchternen Interrailer diskutieren bis tief in die Nacht, ob die Serben allein Schuld sind an den Tragödien des Balkans, die besoffenen grölen durch die offenen Fenster Lieder in die kühle Nacht hinaus.

Tag 2, 9:30 Uhr, Belgrad, Serbien


Wegen der katastrophalen Unpünktlichkeit warnen alle einschlägigen Reiseführer vor der Bahnverbindung zwischen Belgrad und Griechenland. Die letzten 100 Kilometer bis in die serbische Hauptstadt war der Nachtzug mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von geschätzt 30 Kilometern pro Stunde über die marode, eingleisige Strecke gerattert. Sein Ziel erreicht der Expresszug mit soliden viereinhalb Stunden Verspätung.

Die Interrail-Touristen machen sich schnell auf die Suche nach ihren Anschlüssen. "Schau, ein Zug aus Griechenland nach Russland", raunt ein amerikanischer Rucksackreisender im Vorübergehen seinem Freund zu. "That is crazy!"

Der Anschlusszug nach Ungarn ist weg


Vor dem russischen Schlafwagen stehen rauchend ein paar Fahrgäste. Gennadi, so heißt der mürrische Mann aus der letzten Nacht, und ein zweiter Schlafwagenschaffner haben sich ihre Eisenbahner-Uniformen angezogen. Unter ihren Schirmmützen machen die beiden eine besorgte Miene: Der Anschlusszug nach Ungarn ist vor über einer Stunde abgefahren, und eigentlich hätte der Moskauer Waggon an ihn umgehängt werden müssen.

Feilschen um ein Schlafwagen-Abteil


Ich unternehme trotzdem einen neuen Versuch, noch in dem Waggon unterzukommen. "Immer noch alles belegt?" frage ich spöttisch. Gennadi will jetzt 80 Euro für einen Schlafwagenplatz nach Moskau, ich biete 30. Wir einigen uns auf 50 für ein Einzelabteil. Der alte Waggon aus dem VEB Waggonbauwerk in Ammendorf hat komfortable Abteile mit Waschbecken und Klimaanlage, wurde vor einigen Jahren komplett überholt.

Das einzige Problem ist: "Niemand kann jetzt mehr sagen, wann wir in Moskau ankommen werden", sagt Gennadis Kompagnon. Er gibt sich gleich von seiner charmanten Seite: "Aber wir bemühen uns, Ihnen allen den Aufenthalt bei uns so angenehm wie möglich zu machen."

Die beiden Schlafwagen-schaffner haben zudem etwas Hoffnung, dass wir doch noch irgendwie rechtzeitig nach Budapest gebracht werden, um den vorderen Teil unseres Zuges wieder einzuholen.

(Karsten Packeiser/.rufo)

Zweiter Teil der Reisereportage hier >>>

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