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Kakerlaken ausgesetzt: Die Strafkammer braucht nun einen Kammerjäger (Foto: thai-info.de)
Kakerlaken ausgesetzt: Die Strafkammer braucht nun einen Kammerjäger (Foto: thai-info.de)
Montag, 12.07.2010

Schuldspruch in Moskau wegen Religions-Beleidigung

Moskau. Mit Geldstrafen – statt geforderter Haft – ging in Moskau ein Prozess wegen Gotteslästerung gegen die Organisatoren der Ausstellung „Verbotene Kunst“ zu Ende. Im Gericht gab es dabei eine Kakerlaken-Invasion.

Ein Moskauer Bezirksgericht sprach am heutigen Montag die Angeklagten der antireligiösen Hetze schuldig.

Der Kurator der Ausstellung "Verbotene Kunst" Andrej Jerofejew muss 150.000 Rubel (3.800 Euro) Strafe zahlen, der ehemalige Direktor des Sacharow-Zentrums Juri Samodurow 200.000 Rubel (5.100 Euro). Die Anklage hatte drei Jahre Haft für beide Angeklagten gefordert. Die Ausstellung habe die Gefühle von Gläubigen verletzt, so die Urteilsbegründung.

Happening zum Urteil: Kakerlaken ausgesetzt


Zahlreiche Künstler hatten die Angeklagten unterstützt und auf die notwendige Freiheit der Kunst verwiesen. Während der Urteilsverkündung setzte die russische Performance-Gruppe „Woina“ (Krieg) aus Protest massenweise Kakerlaken im Gerichtssaal aus.

Wie der Woina-Aktivist Artur Loskutow in seinem Blog berichtet, laufen jetzt 3.500 der Insekten durch das Gerichtsgebäude. Zwei Mitglieder der Künstlergruppe wurden bei der Aktion festgenommen. Erst vor kurzem hatte "Woina" mit einem neben der Petersburger FSB-Geheimdienst-Zentrale auf eine Klapp-Brücke gemalten Riesenpenis Aufsehen erregt.

Lästerliche Bilder auch hinter Schutzwänden tabu


Gegenstand des heutigen Gerichtsurteils war die Ausstellung "Verbotene Kunst", die vor drei Jahren im Moskauer Sacharow-Zentrum von Andrej Jerofejew präsentiert wurde. Die Werke, die lediglich hinter einer Wand durch kleine Gucklöchern zu sehen waren, sollte dazu dienen, auf Tendenzen der wiederkehrenden Zensur in Russland aufmerksam zu machen, so Ausstellungskurator Jerofejew.

Die provokative Pop-Art-Schau vermischte hinter den Gucklöchern christliche Symbole mit modernen, kultischen Motiven wie Mickey Mouse, schwarzem Kaviar oder Coca-Cola.

In der Peep-Show gab es Jesus zu sehen, der auf einem Werbeplakat „Coca Cola – Das ist mein Blut“ deklamierte, oder Mickey Mouse, der in einer Fotocollage als Moses auftrat. Die Publikumsreaktionen waren sehr gemischt.

Vorgänger-Ausstellung wurde zerdeppert


Die russisch-orthodoxe Kirche hatte scharf gegen die Bilderschau protestiert und gefordert, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Immerhin ging es aber noch glimpflicher ab als bei der Vorgänger-Ausstellung „Vorsicht Religion“, die von Fanatikern gestürmt und zerstört worden war.

Bei Russland-Aktuell
• Kein Extremismus: Freigabe der Anti-Putin-Schrift (01.07.2010)
• „Moskau ohne Luschkow“ – nicht auf der Twerskaja (29.06.2010)
• Hinter den Kulissen der größten Filmschmiede Russlands (28.06.2010)
• Moskauer Vorbild: Keine Petersburger Schwulenparade (23.06.2010)
• Demos zum 31.: Putin-Wort hilft Opposition bedingt (01.06.2010)
Merkwürdigerweise wurden die Randalierer nie zur Rechenschaft gezogen. Dafür ging es den Organisatoren der beiden Ausstellungen an den Kragen: Samodurow als Direktor des Sacharow-Zentrums musste wegen der „Verbotenen Kunst“ auf den von der Kirche erzeugten öffentlichen Druck hin sein Amt aufgeben. Auch Jerofejew wurde 2008 als Leiter der Abteilung für Öffentliche Kunst in der Tretjakow-Galerie entlassen.

In dem aktuellen Verfahren bestritten Jerofejew und Samodurow ihre Schuld und hatten schon vor dem Urteil angekündigt, Berufung einzulegen.

Ziel: Zensur thematisieren, nicht Kirche beleidigen


„Wir haben Zensurverbote diskutiert und dafür einen auf die Zähne bekommen“, so Jerofejew. Er habe nie die Gefühle von Gläubigen verletzen, sondern einzig auf die in der Gesellschaft bestehende Zensur hinweisen wollen, erläutert er den Grundgedanken seiner Ausstellung.

Sein Mitangeklagter Samodurow macht „eine halbfreiwillige Nötigung zum Orthodoxismus als Indikator des Patriotismus“ als Grund für die Anklage aus.

Symbiose: Russlands Kirche und die Staatsmacht


Tatsächlich ist die Rolle der orthodoxen Kirche in den letzten 20 Jahren deutlich gewachsen. Der zu Lenins Zeiten staatlich verordnete Atheismus ist seit Gorbatschow einer von den Kremlführern vorgespielten Orthodoxie gewichen. Die Kirche hat nicht nur ihr Eigentum wiederbekommen, sie hat auch einigen gesellschaftlichen Einfluss erlangt.

Die Grundlagen der Orthodoxie wurden als Unterrichtsfach im multireligiösen Russland durchgesetzt und gerade formuliert das Moskauer Patriarchat als Gegengewicht zur Bürgerrechts-Bewegung „orthodoxe Menschenrechte“.
Die russisch-orthodoxe Kirche dankt dem Kreml seine Unterstützung mit absoluter Loyalität gegenüber den Machthabern. Die zunehmende Verflechtung von Staat und Kirche sehen Künstler wie Samodurow und Jerofejew auch als Gefahr für die Freiheit der Kunst.

„Die Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag“, klagt beispielsweise der Maler Dmitri Wrubel, dessen Projekt, Bibelverse mit modernen Bildmotiven zu unterlegen, ebenfalls schon auf Widerstand in orthodoxen Kreisen gestoßen ist.



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