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Widersprüchliche Suizidalität
Die Suizidrate sagt weniger etwas darüber aus, wie verbreitet psychische Erkrankungen in einer Bevölkerung sind, als über die Qualität der psychiatrischen Versorgung. In Deutschland geht die Suizidrate stetig zurück, obwohl die Rate an psychischen Neuerkrankungen steigt. In der am schlechtesten psychiatrisch versorgten Bevölkerungsgruppe, den alten Menschen ist die Suizidrate demnach weniger rückläufig und hält sich seit den siebziger Jahren teilweise sogar konstant!\\r\\nDie Qualität der psychiatrischen Versorgung korreliert ungefähr mit dem Wohlstandsniveau eines Landes. In vielen Ländern der Erde gibt es überhaupt keine psychiatrische Versorgung.\\r\\nNach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist die Psychiatrie in Osteuropa nur punktuell besser geworden, häufig hat sie sich verschlechtert. Auch hier ein typisches Bild. Im Boomland Polen eine deutlich bessere Versorgung als in Weissrussland, das 2005 mit 35 Suiziden pro 100000 Einwohnern die höchste Suizidrate international hatte.\\r\\nEin paar andere Punkte sollen aber auch nicht verschwiegen werden. Alkohol und Drogen sind Risikofaktoren ersten Ranges. Sie bedingen auch Gewalt gegen andere, insbesondere familiäre Gewalt gegen Frauen und Kinder. Hier gibt es leider keine aussagefähigen Statistiken in Osteuropa, was auch gut nachvollziehbar ist, weil familiäre Gewalt häufig nicht nachhaltig verfolgt wird. Geschlagene Frauen dürfen auch nur sehr eingeschränkt auf die Hilfe der Polizei hoffen.\\r\\nTrotzdem sind gewalttätige Gesellschaften wie Russland nicht automatisch mehr suizidgefährdet, wie das Beispiel der USA zeigt, die auch eine hohe Gewaltrate aufweist, aber nur wenig Suizide, weniger als in Westeuropa, wo familiäre und öffentliche Gewalt in viel höherem Maße geächtet ist.\\r\\nSchließlich gibt es bei den Inuit in Grönland sehr hohe Suizidraten, obwohl dort eine wenig reglementierte gewaltarme Erziehung vorherrschen soll.\\r\\nDie Sache mit der Suizidalität ist also schwer zu fassen und direkte Schlüsse sind schwer zu ziehen. Keinesfalls kann man davon ausgehen, dass ärmere Gesellschaften ohne psychiatrische Versorgung auch automatisch höhere Suizidraten haben.\\r\\nSchließlich bleibt auch in Bezug auf Russland die offene Frage, warum sich die Zahl der Suizide in den letzten zehn Jahren reduziert hat, obwohl die psychiatrische Versorgung nicht nennenswert verbessert wurde?\\r\\nEin neuer Putin-Faktor? Immerhin scheint die russische Statistik einen Glücksfaktor von 73% aufzuweisen, wenn auch internationale Institute die Russen mit 37% nur halb so glücklich sehen, wie Russland-Aktuell kürzlich berichtete.\\r\\nIch persönlich denke, es liegt am Wodka, der nur kurzfristig glücklich macht und bereits am nächsten Tag zu einer erheblichen Imbalance der Glückshormone führt. Die Finnen haben mit ihrem Alkoholkonsum in den achtziger und neunziger Jahren auch ihre Suizidraten reduzieren können. Das sollten die Russen auch mal versuchen!
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