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Jürgen Roth sieht enge Verbindungen zwischen dem russischen Geheimdienst und der Russenmafia (Foto: Roth)
Jürgen Roth sieht enge Verbindungen zwischen dem russischen Geheimdienst und der Russenmafia (Foto: Roth)
Donnerstag, 07.05.2009

Russenmafia: Sitzen die Hintermänner beim Geheimdienst?

Moskau. Das Schlagwort Russenmafia geistert seit Jahren durch die deutschen Medien. Doch was verbirgt sich dahinter und wie stark ist ihr Einfluss. Russland-Aktuell hat dazu den Mafia-Experten Jürgen Roth befragt.

R-A: Sie haben vor kurzem Ihr neues Buch „Mafialand Deutschland“ herausgebracht. Wie lange haben Sie für das Buch recherchiert?

Roth: Die Recherchen haben zwei Jahre gedauert.

R-A: Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen? Wie stark sind denn die einzelnen Mafias im Verhältnis zueinander? Wer ist tonangebend?

Roth: Tonangebend sind zweifellos die italienische Mafia und die deutschen Hell Angels bzw. Banditos. Dann folgt im strafrechtlichen Sinne die albanische Mafia, an nächster Stelle steht dann die Mafia, die man gemeinhin unter dem Begriff Russenmafia subsumiert.

R-A: Sie haben es angesprochen, Russenmafia ist ein Oberbegriff. Wer steckt denn eigentlich wirklich dahinter. Sind das Russen oder sind das andere Volksgruppen, die eigentlich nur die gemeinsame Sprache Russisch zusammenhält?

Roth: Natürlich sind auch Russen bei der so genannten Russenmafia dabei. Die sind in Moskau, St. Petersburg oder Jekaterinburg geboren. Aber es gehören natürlich auch Russlanddeutsche, Ukrainer, Tschetschenen, Georgier, Usbeken usw. dazu. Eigentlich könnte man die Russenmafia besser unter dem Begriff osteuropäische organisierte Kriminalität zusammenfassen.

R-A: Gibt es denn zwischen diesen Ethnien und Mafiaclans Konflikte, die auch mit Gewalt ausgetragen werden?

Roth: Inzwischen nicht mehr, Anfang der 90er Jahre gab es auch bewaffnete Auseinandersetzungen um einzelne Märkte, z.B. den Frauen – und Drogenhandel. Aber inzwischen sind die Märkte aufgeteilt, so dass es in der Regel keine Konflikte mehr darum gibt.

R-A: Auf welche Art von Verbrechen hat sich denn die Russenmafia spezialisiert? Welche Tendenzen gibt es auch in den letzten Jahren, nimmt ihr Einfluss in Deutschland zu?

Roth: Ihr Einfluss ist besonders groß im Bereich Wirtschaftskriminalität. Spezialisiert hat sich die Russenmafia zudem auf den Drogen- und Menschenhandel, der besser Sklavenhandel heißen muss. Zudem spielt sie eine wichtige Rolle bei der Schutzgelderpressung, wobei hier die Opfer meist Russlanddeutsche sind. Den Einfluss allerdings in konkrete Zahlen zu fassen ist derzeit nicht möglich, da es praktisch keine tief gehenden Strukturermittlungen dazu gibt. In einzelnen Städten haben sie jedenfalls erfolgreich eine Parallelgesellschaft unter ihresgleichen aufgebaut.

„Qualitätssprung einer Mafia“


Eindeutig ist, dass die Russenmafia einen „Qualitätssprung“ gemacht hat von der einfachen Kriminalität – ich nenne sie einmal Proletarierkriminalität – zur Finanz- und Wirtschaftskriminalität. Veruntreuung staatlicher Gelder aus Russland und Geldwäsche bietet derzeit das größte Gefährdungspotenzial in Deutschland. So legen durch Betrug in Russland erzielte Gewinne bestimmte Personen hier in Immobilien an. Die Solnzewskaja- und Ismailowskaja-Mafia (benannt nach zwei Moskauer Stadtvierteln, wo die Mafia-Clans ihren Ursprung haben sollen – d.R.) spielen bis heute eine bedeutende Rolle in Deutschland.

R-A: Wo sitzen denn die Hintermänner dieser Kriminalität? Sitzen sie in Russland oder hat die „Russenmafia“ in Deutschland schon eine Art Selbständigkeit erreicht?

Roth: Nein, eine Selbständigkeit gibt es nicht. Die Hintermänner sitzen fast immer in Moskau und St. Petersburg und genießen den Schutz des Kreml. Ich gebe Ihnen dazu ein Beispiel. In Stuttgart ist vor einiger Zeit der Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Ismailowskaja-Gruppe wegen Geldwäsche in Deutschland eröffnet worden. Dabei hat die Verteidigung angeführt, dass in den Dokumenten der Staatsanwaltschaft auch Oleg Deripaska genannt wird und gefragt, warum ihm nicht der Prozess gemacht wird. Deripaska bestreitet natürlich jede Beziehung zur Mafia.

Bei Russland-Aktuell
• Prozess gegen Unterwelt-Größe Barsukow hat begonnen (02.04.2009)
• Geheimdienstoffizier verkaufte Frauen nach Deutschland (27.03.2009)
• Presse spekuliert über Putins Beziehung zur Russenmafia (17.06.2008)
• Mischt Geheimdienst bei Russenmafia mit? (16.06.2008)
• US-Bericht: Medwedew hat Verbindungen zur Mafia (13.06.2008)
Es gibt auch Berichte, wie die der außerordentlich seriösen „The Risk Advisory Group“ in London, dass der Milliardär Alischer Usmanow engste Verbindungen zur Solnzewskaja-Gruppe gehabt haben soll. Ein Vorwurf, den Alischer Usmanow bekanntlich bestreitet.

Und noch ein Beispiel: Vor ein paar Jahren hat Riccardo Franchini, jetzt heißt er Richard Rotman, seinen 50. Geburtstag in Berlin gefeiert. Unter den Gästen war auch der russische Milliardär Viktor Wechselberg – es gibt Fotos, die das beweisen und die Auskunft des Berliner Landeskriminalamts, dass er anwesend war. Doch Wechselberg bestreitet das. Dafür gibt es einen guten Grund: Franchini gehört zu den Topleuten der sog. Russenmafia und war ein großer Drogendealer, hatte enge Verbindungen zu südamerikanischen Drogenkartellen und zur italienischen Mafia. Ende 2007 wurde er dann in London verhaftet und an die USA ausgeliefert. Wegen Kokain- und Amphetaminschmuggels soll ihm jetzt dort der Prozess gemacht werden. Bis 2007, also nach seinem Geburtstag, hat er noch Drogen geschmuggelt.

R-A: Wenn die Hintermänner in Russland sitzen, fragt man sich natürlich, wie gut deren Verbindungen hierzulande sind insbesondere zum russischen Geheimdienst.

Roth: Daran zeigt sich die neue Qualität der Russenmafia. Ihre Vertreter sind häufig gut ausgebildet, politisch informiert und haben enge Verbindungen zu den Machtorganen in Russland. Zentrale Geschäftsmethoden sind Erpressung und Korruption. Nach Untersuchungen des Schweizer Bundesamts für Polizeiwesen vom Juni 2007, sowie des Bayrischen Landesamts für Verfassungsschutz werden die kriminellen Strukturen vom FSB gedeckt oder instrumentalisiert bzw. es gibt, wie es in dem Bericht heißt, „eine systematische Zusammenarbeit“.

Russenmafia vom FSB geschützt


Andere Mafias haben diesen Schutz nicht. Firmengeflechte in Deutschland wurden vom FSB für kriminelle Strukturen gegründet. Auch der russische Auslandsgeheimdienst SWR hat versucht, über seine kriminellen Kontakte in führende Positionen der deutschen Wirtschaft und Politik einzudringen.

Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz hat offiziell erklärt, dass Unternehmen aus Russland sowohl nachrichtendienstlich als auch in der Organisierten Kriminalität hier aktiv sind. Sie unterhalten Kontakte zu hochrangigen Politikern und Geschäftsleuten sowohl in Russland wie in Deutschland. Alles nachzulesen übrigens in meinem Buch „Mafialand Deutschland“.

Dabei handelt es sich nicht – oder nicht nur – um ehemalige Agenten. Der FSB fördert die Kriminalität aktiv. Sein Interesse besteht darin, die Netze zu kontrollieren und dadurch auch Informationen zu generieren, bzw. Erpressungsmaterial in die Hände zu bekommen.

R-A: Wie gut ist denn die organisierte Kriminalität in der deutschen Politik und Wirtschaft sowie bei den Behörden vernetzt?

Roth: Verbindungen zu deutschen Diensten oder Sicherheitsbehörden gibt es meines Wissens nach nicht. Aber in der Wirtschaft, vor allem im Energiebereich, ist es gelungen, Kontakte zu knüpfen und über die wirtschaftliche Schiene konnte sicher auch der eine oder andere Politiker kontaktiert werden.

R-A: Wie ist denn überhaupt die Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Behörden bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität?

Roth: Bis 2008 war eine solche Zusammenarbeit überhaupt nicht möglich. Bei einfachen Kriminalfällen wird sicher zusammen-gearbeitet, doch bei organisierter Kriminalität wird geblockt. Sobald Bezüge zum Kreml festgestellt werden, gibt es keine Kooperation, z.B. gab es da ein Verfahren gegen den ehemaligen Eisenbahn-Minister (Axjonow –d.R.). Inzwischen soll es ein wenig besser geworden sein, nicht mehr und nicht weniger.

R-A: Vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte André Ballin/.rufo


Zur Person: Jürgen Roth, geboren 1945 in Frankfurt am Main ist einer der bekanntesten investigativen Journalisten in Deutschland. Roth ist Autor zahlreicher Bücher über die organisierte Kriminalität. Sein neuestes Buch heißt „Mafialand Deutschland“.


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