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Sonntag, 03.12.2000
Russische Ostalgie: Sowjethymne, Doppeladler und TrikoloreVon Gisbert Mrozek (Moskau). Gespräch mit dem bekanntesten russichen Filmregisseur und -Produzenten NIKITA MICHALKOW über die russische Hymne, die Krönung Putins, den Zaren, Juan-Carlos im Kreml, den Dalai-Lama und das russische Hollywood
rUFO: Vielleicht begrüsst Russland das neue Jahrtausend in der Silvesternacht mit einer neuen Hymne: Der alten Sowjethymne. Die Diskussion geht einem neuen Höhepunkt entgegen. Ab Montag entscheidet die Duma darüber, welche Hymne es geben soll. Zu Auswahl stehen als Musik die alte Sowjethymne und die gegenwärtige Hymne, die Glinka, sowie verschiedene Textvorschläge. Was meinen Sie: ist es überhaupt richtig, dass die Duma diese Entscheidung trifft ?
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Michalkow: Das steht nicht zur Diskussion, weil es das Gesetz so will. Die Hymne ist für die Menschen nötig, die heute in diesem Lande wohnen und keine offiziell bestätigte Hymne haben.
rUFO: Russland hat lange ohne Hymne gelebt ...
Michalkow: Und wer sagt, dass das gut war ?
rUFO: ... sogar zu Zeiten Peters des Grossen. Da spielte man statt einer Hymne einfach den Radetzky-Marsch.
Michalkow: Man könnte auch noch weiter gehen. Unter Alexander Newskij gab es auch keine Hymne. Aber das ist ja kein Grund. Warum eigentlich haben Sie in Deutschland eine Hymne und uns wollen Sie keine gönnen ?
rUFO: Nein, um des Himmels willen, wir wollen Ihnen die Hymne nicht streitig machen. Meine Frage ist nur: Wofür wird sie gebraucht ?
Michalkow: Die Hymne ist ein Gebet des Staatsbürger. Die Hymne, das ist die Beziehung der Bürger zu ihrem Lande. Die Hymne ist ein Symbol.
rUFO: Und meinen Sie, dass ein solches Gebet ohne Worte sein könnte ?
Michalkow: Warum ? Natürlich nicht !
rUFO: Es gibt aber solche Vorschläge. Musik pur als Hymne zu nehmen. Entweder die Sowjethymne oder die Glinka...
Michalkow: Es gibt sogar den Vorschlag, den Film-Schlager Uns ist alles Wurscht zu nehmen. Das Land ist gross...
rUFO: ... und die Worte kann sich jeder selbst denken.
Michalkow: Sehn Sie - Demokratie !
rUFO: Und welchen Text würden Sie vorschlagen ?
Michalkow: Gar keinen. Ich bin kein Dichter.
rUFO: Oder wollen Sie nur nicht darüber reden, weil Ihr Vater, der seinerzeit auch schon den Text der Sowjethymne gedichtet hatte, jetzt auch einen Text eingereicht hat ?
Michalkow: Das spielt keine Rolle. Das wichtigste ist, dass die Hymne die Seele in Bewegung bringt. Egal von wem - Hauptsache der Text ist gut.
rUFO: Trifft die Duma denn die richtige Entscheidung ?
Michalkow: Weiss ich auch nicht. Die Duma trifft eine parteipolitische Entscheidung. Das wird ein Kuhhandel wie immer.
rUFO: Wenn die Duma nun am Montag beschliesst, die alte Sowjethymne und deren Text zu nehmen, was sagen Sie dann ?
Michalkow: Das geht überhaupt nicht. Stalin hat uns erzogen ... Das kann heute niemand mehr singen. Ausser vielleicht Anpilow.
rUFO: Vielleicht noch KP-Chef Sjuganow ...
Michalkow: Nein, sogar der nicht. Der singt lieber über Lenin.
rUFO: Gefällt Ihnen das denn: die Hymne als Gegenstand eines parteipolitischen Kuhandels und der politischen Tageskonjunktur ?
Michalkow: Wenn Sie meine Meinung wissen wollen - die Duma ist überhaupt überflüssig. Ich bin Monarchist.
rUFO: Wieso ist da die Duma überflüssig ? Zar Nikolai II. hat hervorragend mit der Duma gelebt...
Michalkow: Und womit endete das ? Mit der Erschiessung in Jekaterinburg !
rUFO: Ohne Duma wäre das nicht passiert ?
Michalkow: Ohne Duma wäre alles besser gewesen. Wir könnten vielleicht in einem künftigen monarchistischen Russland einen Obersten Rat haben oder einen Ältestenrat. Das ist aber eine andere Diskussion. Das Entscheidende ist in Russland jedenfalls immer die Staatsmacht, die Regierungsgewalt. So sehr man uns auch zu den allgemein-demokratischen Werten drängt - das wird hier immer eine Missgeburt. Wie alles, was man mit Gewalt einflösst.
rUFO: Ist eigentlich die Hymne der wichtigste Teil der Staatssymbolik ?
Michalkow: Nein, darüber wird heute nur am meisten geredet. Ich würde stattdessen mehr über die Fahne nachdenken. Unsere Fahne jetzt ist allzu leicht mit der französischen, der holländischen oder jugoslawischen zu verwechseln. Sie müsste ein unterscheidbares Element bekommen. Eine goldenen Doppeladler oben oder in der Mitte. Und was die Sowjet-Hymne betrifft: Die kennen alle. Mit dieser Hymne, entschuldigen Sie, wurde Berlin erobert.
rUFO: Und sie passt zur russischen Trikolore und dem Doppeladler ?
Michalkow: Warum nicht ? Die Staatssymbolik ist ja nicht wie Busines-Lunch mit Vorspeise, Suppe, Hauptgericht und Nachtisch. Da kann es verschiedene Elemente geben. Warum sollte man auch unsere ganze Geschichte vergessen ? Das hatten wir schon mal im Jahre 1917. Da wurde auch alles vergessen und gestrichen. Und wir wissen, womit das endete. Es gab Stalin und den GULAG. Aber es gab auch den Sieg gegen Hitler, die Industrialisierung, die Wissenschaft. Es gab Gagarin, Schestakowitsch und das Bolschoi Theater. Es gab vieles zur Sowjet-Zeit. Und darum sage ich auch: Kontinuität ist das Wichtigste. Trikolore, Doppeladler, Sowjethymne.
rUFO: Andere wollen auch Kontinuität, aber ohne Sowjetzeit ...
Michalkow: Und was wird mit den Menschen, die nach 1917 geboren wurden ? Umsonst gelebt ? War das alles umsonst, was die getan haben ? Was machen wir mit Korolow und Landau, was mit dem Akademiker Kapiza ? Sie haben ja keine Schuld, dass sie in der Zeit geboren wurden. Man kann doch nicht zwei ganze Generationen aus dem Leben des Landes herausschneiden.
rUFO: Also: Wenn die Duma die Sowjethymne annimmt - ist das ein Schritt dazu, dass die russische Nation sich selbst wiederfindet ?
Michalkow: Das ist eine gesunde Auffassung von dem, wer wir sind und woher wir kommen. Das ist ein langer Prozess.
rUFO: Ist das auch ein Schritt zur Monarchie, die Sie wollen ?
Michalkow: Nein. Ich bin für die Konzeption der Monarchie, bin aber doch auch Realist. In Russland hat individuelle Verantwortung und strikte Hierarchie der Staatsmacht prinzipielle Bedeutung. Ich bin gegen die Wählbarkeit der Gouverneuere. Sie müssen ernannt und abgesetzt werden, wenn sie schlecht arbeiten. Aber ich verstehe, dass es jetzt nicht geht, Putin zu krönen.
rUFO: Warum nicht ? Weil er zu klein ist ?
Michalkows weitere Antworten, der russische Juan-Carlos, der Dalai-Lama, das russische Hollywood und Michalkows nächste Pläne ... bei MOSKAU.ru und rUFO.ru am Montagabend.
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(Topfoto: Siegmund/.rufo)
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