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Jelzins Rücktrittserklärung: Der größte Böller zur Jahrtausendwende (Foto: newsru) |
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Montag, 23.04.2007
Jelzin: Das Symbol für Russland in den 90er JahrenLothar Deeg, St.Petersburg. Er hat dem Land große Dienste geleistet, aber auch große Fehler gemacht. Auf diese kurze, ehrliche Formel hat Michail Gorbatschow die Lebensbilanz seines heute verstorbenen Nachfolgers Boris Jelzin gebracht.
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Besondere Sympathie empfand der letzte Präsident der Sowjetunion für den ersten Präsidenten Russlands nie. Schließlich war es Boris Jelzin gewesen, der den sanften Reformer Gorbatschow, der die UdSSR umbauen, aber dabei eben auch zusammenhalten wolllte, um Amt und Würden gebracht hatte. Nur wenige Wochen hatte nach dem Putsch erzkonservativer Kommunisten im August 1991die Phase gedauert, in der man Jelzin und Gorbatschow als Kämpfer auf einer Seite der Barrikade sehen konnte.
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Zuletzt Rentner Nr. 1 unter Putins Protektion
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Michail Gorbatschow hatte es unter Jelzin schwer in Russland: Der neue Machthaber strich ihm alle Privilegien, ließ ihn ansonsten aber in Ruhe seiner neuen Arbeit als hochbezahlter Festredner nachgehen.
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Boris Jelzin hatte es da leichter: Sein Nachfolger Wladimir Putin vergalt ihm die für alle überraschende Amtsübergabe in der Sylvesternacht 1999/2000 mit einem speziellen Ruhestands-Gesetz für Ex-Präsidenten. Es sicherte Jelzin Immunität und Versorgung. So konnte Jelzin samt Familie ungestört die letzten sechs Jahre seines Lebens in Sicherheit und Wohlstand verbringen mit Staatsdatscha, Leibwache, Sekretariat und Gesundheitsversorgung auf dem höchsten Niveau.
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Der Rückzug aus dem Amt hatte Jelzin gesundheitlich gut getan: Bei den seltenen öffentlichen Auftritten, die er nach seinem Rücktritt absolvierte, überraschte seine im Vergleich zu den späten 90er Jahren scheinbar blendende Verfassung: Der stockende Redefluss war bedeutend schneller geworden, sein Gang sicher, das Gesicht weit weniger verquollen. Ich bin ein glücklicher Mensch, sagte Jelzin in einem seiner letzten Fernsehinterviews.
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Historische Ausnahme: Freiwilliger Machtverzicht im Kreml
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Jelzin war Putins Türöffner im Kreml: Amtsübergabe Sylvester 1999 (Foto: newsru) |
Jelzin genoss so ganz persönlich die Früchte eines für die jüngere russische Geschichte einmaligen Machtwechsels: Kein russischer Staatsführer hatte jemals zuvor freiwillig, vorzeitig und bei vollem Bewusstsein seinen Posten geräumt ohne Druck, Palastrevolte oder Blutvergießen. Jelzin hatte sich den ziemlich unbekannten Geheimdienst-Chef Putin als Wunschnachfolger ausgeschaut und gab ihm ein halbes Jahr Vorlauf als Ministerpräsident.
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Auch wenn Putins Politik heute vielen, vor allem im Ausland, als Verrat an den unter Jelzin lebhaft beschworenen Demokratie-Formeln erscheint: Russland und den Russen hat er nach den chaotischen 90er Jahren gut getan. Die liberale und demokratische Jelzin-Verfassung von 1993 ist im übrigen nach wie vor in Kraft. Nur ihr Geistmuss immer wieder leiden.
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Die Supermacht Sowjetunion kollabiert, Jelzin sichert die Trümmer
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Jelzin als Anti-Putsch-Held im August 1991 (foto: newsru) |
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Auch am Beginn von Jelzins Zeit auf dem Gipfel der Macht steht ein überraschend weicher Übergang, vollzogen ebenfalls in einer Sylvesternacht, aber schon von welthistorischer Bedeutung: Zum Jahreswechsel 1991/1992 erfolgte unter Jelzins Regie die Auflösung der Sowjetunion, dieser waffenstarrenden Supermacht ohne wirtschaftlich tragfähiges Rückgrat. Blutvergießen blieb aus, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Not der Menschen am allergrößten war: Eine Hungerrevolte im Atomstaat war damals eine reale Gefahr. Jelzin setzte auf die heilenden Kräfte der Marktwirtschaft ohne allerdings über das Wissen zu verfügen, wie diese wirken.
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Panzer feuern in Moskau und Grosny
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Reale Zerfallserscheinungen in Russland nutzte der Machtmensch Jelzin aktiv aus: 1993, als das von Altkommunisten dominierte Parlament im Moskauer Weißen Haus offen rebellierte, ließ er Panzer nicht nur auffahren, sondern auch feuern. Immerhin, ein drohender Bürgerkrieg und eine Rückkehr des Kommunismus wurden so im Keim erstickt. Im Jahr darauf rollten die Panzer auf seinen Befehl hin dann schon nach Grosny: Dies war der Auftakt für zwei brutale Kriege. Die Bevölkerung Tschetscheniens musste einen extrem hohen Preis dafür zahlen, dass sich dank Jelzins (und später Putins) Entschiedenheit an der Südostflanke Europas kein radikaler Moslemstaat etablieren konnte.
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Jelzins Populärität bei den Russen schwand in dieser Zeit wieder fast so schnell, wie er sie als auf dem Panzer stehender furchtloser Anti-Putsch-Kämpfer 1991 gewonnen hatte. Doch der Präsident schonte sich ein weiteres Mal nicht, um eine Rückkehr der Kommunisten an die Macht im Kreml zu verhindern: Trotz mehrerer Herzinfarkte trat er 1996 bei den Präsidentenwahlen an. Der Wahlkampf war unfair, nur Geld und Medienmacht der Oligarchen verhalfen Jelzin zum Sieg. Dies war der Sündenfall der jungen russischen Demokratie.
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Oligarchen-Herrschaft und wirtschaftliche Katastrophen
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Im August 1998 kollabierten dann die russischen Staatsfinanzen, Millionen Russen verloren erneut ihre Hoffnung und ihre Ersparnisse.
Das Ansehen des früh vergreisten und offenbar alkoholkranken Jelzin war damals tief im Keller. Hinzu kamen Auftritte, die an Peinlichkeit die Stammelreden Breschnews noch übertrafen. Windige Gestalten wie Boris Beresowski und Roman Abramowitsch avancierten zu strippenziehenden Einflüsterern im Kreml.
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Erst Jelzins theatralischer Abgang wenige Stunden vor der Jahrtausendwende rehabilitierte ihn in den Augen der Russen wieder leidlich: seine rührige Bitte an das Volk um Vergebung kam an.
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Wenn Jelzin jetzt zu Grabe getragen wird, verabschiedet sich Russland somit schon nicht mehr von einem konkreten Volkshelden, einer Führerfigur oder einem Feindbild, sondern von der Verkörperung der dramatischen 90er Jahre.
(Lothar Deeg/.rufo)
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