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Vor seinem 75. Geburtstag 2006. Ich bin ein glücklicher Mensch - sagte Boris Jelzin nicht lange vor seinem Tode (Foto: ORT) |
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Montag, 23.04.2007
Boris Jelzin: Seine Erbschaft wird ihn lange überlebenGisbert Mrozek, Moskau. Ich war enttäuscht, als ich ihn das erste Mal sah. Es war im Herbst 89 auf einer Sitzung der Opposition im Obersten Sowjet. Kurz bevor er angeblich in einem Sack von einer Moskwabrücke gestürzt wurde.
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Ihm ging der Nimbus des großen Rhetorikers voraus. Aber in Wirklichkeit war er verschwommen und unklar. Unbedeutend im Vergleich zur zwingenden rednerischen Logik von Andrej Sacharow oder Juri Afanasjew. Aber er wurde offenbar gebraucht und ihm wurde geholfen.
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Als er im Datschenvorort Nikolina Gora nicht ganz nüchtern vom Weg zu einer Liebschaft abkam, wurde die Geschichte medienwirksam zu einem geheimnisvollen Anschlag umgedeutet. Man habe ihn von einer Brücke in die Moskwa gestürzt, erklärte Boris Jelzin später. Wäre es wirklich so gewesen, hätte er wohl kaum überlebt.
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Sicheres Gespür für das Symbolische
Jelzin hatte immer ein sicheres Gespür für das Mediale und Symbolische. Als er Parteichef in Moskau war, fuhr er einmal im Berufsverkehr eine Haltestelle weit im vollbesetzten Bus mit - und galt fortan als ein Mann des Volkes und Erzfeind der Nomenklatura, die sich nur in schwarzen Dienstwagen durch die Stadt bewegte. Jelzin war der Tribun der Zeit, auch wenn er nichts sagte.
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Jelzins Verdienst war sicherlich, dass er die Perestroika Gorbatschows zu Ende brachte. Seine Schuld, dass er Russland dabei ruinierte. Seine Bilanz lautet: Ende der Sowjetunion, Tschetschenienkrieg und Mediengängelung. Privatisierung, Massenarmut und Oligarchie.
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Wollte man politisch korrekt bleiben und über den Toten nur Gutes sagen, könnte man Jelzins Leben kaum würdigen.
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Finger beim Spiel mit Granate verloren
Seine Finger hatte er als Jugendlicher verloren, als er mit einer gefundenen Granate spielte. Die Liebe zum Riskanten blieb ihm. Hinzu kam der Hang zur Flasche. Manche Entscheidungen hätte er nüchtern wohl kaum getroffen. Viele Situationen wohl nicht ausgehalten, ohne zu trinken.
Unvergessen bleibt sein Versuch, das Berliner Polizeiorchester zu dirigieren. Aber zum Vater der deutschen Einheit wurde er dadurch nicht. Der Titel war schon vergeben.
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Vater der deutschen Einheit und der Perestroika wurde Jelzin nicht
Auch Vater der Perestroika wurde Jelzin nachträglich nicht aber er hat die von Michail Gorbatschow begonnenen Reformen revolutionär zu Ende geführt. Er hat das lebensunfähige sowjetische Bürokratenregime endgültig beseitigt und beinahe den ganzen Staat dazu.
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Als Parteichef Juri Andropow Gorbatschow, Ligatschow - und Jelzin aus der Provinz nach Moskau holte, hatte er sich das sicher anders vorgestellt.
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Jelzin zwingt Gorbatschow zum Rücktritt. 1991. (Foto: Archiv) |
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Jelzin besiegelte 1991 (nicht ganz nüchtern) mit seiner Unterschrift den Untergang der Sowjetunion, die Gorbatschow noch zu einem Staatenbund reformieren wollte. Die Zündschnur für regionale Konflikte im Kaukasus und auf dem Balkan brannte schneller. Aber immerhin zerlegte sich die Sowjetunion ohne Blutvergießen.
Jelzin privatisierte das Staatseigentum so, dass wenige superreich wurden darunter die eigene Verwandtschaft und die Kinder der Nomenklatura - und viele bettelarm. In manchen Kolchosen ernährten die Menschen sich von Viehfutter.
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Den Widerstand der "alten" gegen die "neue" Nomenklatura brach Jelzin mit Gewalt: Er liess das Parlament beschießen, bis es kapitulierte.
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Grosny in Schutt und Asche gelegt, Medien instrumentalisiert
Jelzin begann den ersten Tschetschenienkrieg und legte Grosny in Schutt und Asche, um den Vormarsch der tschetschenischen Schutzgeldbanden in Moskau zu stoppen.
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Er nahm sich immer alles sehr zu Herzen, sagte Jelzins Frau Naina über ihren Mann (Foto: Archiv) |
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Nachdem russische Soldaten 1995 an einem Posten vor der Stadt Budjonnowsk, in der Tschetschenen 1.000 Geiseln genommen hatten, meine Frau hinterrücks erschossen, nachdem wir den Posten schon passiert hatten, versprach Boris Jelzin, die Aufklärung persönlich unter Kontrolle zu nehmen. Die Militärstaatsanwaltschaft kümmerte sich wenig darum.
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Ende 1995, als die Präsidentenwahlen näher rückten, hätten nur noch etwa drei Prozent der Wähler für ihren alten Helden gestimmt. Das Wunder der Wiederwahl erreichte er mit gnadenloser Medieninstrumentalisierung.
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Für Russland war es ein Glück, dass ihn 1999 die Kräfte verließen und er zu Neujahr 2000 den Kreml räumte.
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Seine Erbschaft überlebt ihn.
Der Gerechtigkeit halber müsste man allerdings noch anfügen: eigentlich war Jelzin immer eher der Getriebene in der Geschichte. Es gab kaum Alternativen. Es hätte sehr viel schlimmer kommen können. Oder wie seine Frau Naina sagt: er hat sich immer alles zu Herzen genommen.
Gisbert Mrozek (gim/.rufo/Moskau)
Eine ausführliche Würdigung Jelzins finden Sie in dem Artikel: "Jelzin - Ein Symbol für Russland in den 90iger Jahren" >>>
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