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Sonntag, 03.04.2005

Kirgisien-Analyse(3): reichlich Konfliktpotential

Verschiedene Probleme unterschiedlicher Brisanz erschließen sich dem Betrachter Kirgisiens unmittelbar: Der Nord-Süd-Konflikt, soziale Spannungen, wirtschaftliche Depression und der Faktor „Internationales“. Sie werden kurz-, mittel- und langfristig entscheiden, ob die ‚unerwartet einfache und plötzliche’ Revolution am 24. März ihren nur vage definierten Zielen gerecht werden kann.

Zum einen spielen natürlich geographische Faktoren eine Rolle: Inwieweit wird sich der oft beschriebene Nord-Süd Konflikt entwickeln? Gibt es auch anderweitige räumliche Spaltungen? Wird sich die brisante Kluft zwischen Usbeken und Kirgisen im Süden des Landes wieder auftun?

Oder sind es eher sozioökonomischen Faktoren, die eine destabilisierende Rolle spielen werden? Welche Position nimmt die internationale Gemeinschaft im kirgisischen Machtroulette ein. Es wird ersichtlich, daß es bei weitem keine einfachen Antworten auf diese Vielzahl von Fragen geben kann. Ob sich in Kirgisien ein Sturm am Horizont zusammenbraut, kann nicht eindeutig vorhergesagt werden. Es können jedoch einige Mythen entschärft werden, um die Aufmerksamkeit auf die wirklich wichtigen Aspekte zu lenken.

Bei Russland-Aktuell
• Kirgisien-Analye(1): Wie geht es weiter? (31.03.2005)
• Kirgisien-Analyse(2): Neuer Wind und alter Filz (01.04.2005)
Nord und Süd: Ein gespaltenes Land?

Die Gefahr einer Nord-Süd Spaltung sollte mit der Ernennung Kurmanbek Bakijews, der aus dem Süden stammt, zum Interimspräsidenten auf kürzere Sicht gebannt sein. Die Frage bleibt jedoch bestehen, inwieweit eine neue Administration den geographischen und regionalpolitischen Gegebenheiten Rechnung tragen kann. Die traditionelle Loyalität Bakijews, Otunbajewas, Beknasarows und weiteren südstämmigen Politikern gegenüber ihren Herkunftsorten ließen auf eine erfolgsversprechende Integrationsperspektive schließen. Jedoch kommen auch andere Signale aus den Städten jenseits des Tienschan. Mirbek Koichijew aus Toktogul beschwerte sich schon einmal mit einer Anspielung auf den Ursprung der Protestbewegung, der sich in der Dschalalabad-Region befand: „Nachdem das Weiße Haus genommen worden war, haben sich die [Oppositionellen] nicht einmal bei uns bedankt“, sagte er.

Jedoch sollte man auch bei der Betrachtung der topographischen Begebenheiten nicht mutmaßen, daß eine klare und eindeutige Trennung zwischen Nord und Süd besteht. Bischkek bietet in diesem Zusammenhang reichlich Anschauungsmaterial: Ein großer Teil der Hauptstadtbewohner sind die erste oder zweite Folgegeneration der vom Land in die wirtschaftlich lukrativere Großstadt gezogenen Zuwanderer.

Die 'Ureinwohner' Bishkeks, deren Familien schon seit mehreren Generation dort lebten, sind oft nicht sonderlich beliebt; Zeugnis eines oft erlebten Großstadt-Provinz-Konflikts. Bischkeks Einwohnerzahl schwoll in den letzen zwanzig Jahren rapide an, bis zuletzt auf inoffiziell 800,000. Die Familien der Neueinwohner sind oftmals in der Heimat auf dem Lande verblieben.

Bischkek ist somit nicht nur eine Insel inmitten ländlicher Räume, sondern auch derer Schmelztiegel.

Dies hat sich in der Vergangenheit etabliert und wird sich auch erneut auf das zukünftige Machtgefüge auswirken. Den Nord-Süd Konflikt als Hauptquelle möglicher Unruhen zu identifizieren, ist demnach also nicht befriedigend.

Augenscheinlich territorial-basierte Konflikte können aber durchaus eine Rolle spielen, wie im Moment die Drohgebärden von pro-Akajew-Demonstranten aus Talas bezeugen. Fraglich ist nur, inwieweit diese tatsächlich Ausdruck eines Szenarios ‚Region-gegen-Region’ zu sein scheinen. Vielmehr kommen als eigentliche Grundlage ökonomische Aspekte in Frage. Es sind beispielsweise bei weitem nicht alle Menschen in Talas mit den neuen Zuständen unzufrieden und drohen mit dem Marsch gen Bischkek. Auch in Talas gab es Günstlinge und Verlierer des wirtschaftlichen Wandels und des Nepotismus unter Präsident Askar Akajew.

Bei Russland-Aktuell
• Askar Askajewitsch Akajew (24.03.2005)
• Kirgisiens wilder Süden bedrängt Akajew (22.03.2005)
• Putin hat bei Tulpenrevolution in Bischkek gewonnen (25.03.2005)
• Nächste Revolution in Kasachstan? (28.03.2005)
Ethnische Konflikte sind nicht wahrscheinlich, aber möglich

Spannungen zwischen der ethnischen Minderheit der Usbeken (rund 13% Anteil der Gesamtbevölkerung) und der Mehrheit der Kirgisen werden oft als mögliche Gefahrenquelle für die zukünftige Stabilität des Landes gewertet. 1992 starben bei inter-ethnischen Zusammenstößen in Osch rund 300 Menschen. Seitdem ist die Lage zwischen beiden Gemeinschaften – entgegen oft gemalten Horrorszenarien – aber relativ ruhig geblieben.

Bei den Protestbewegungen in Osch und in Dschalalabad waren beide Volksgruppen gemeinsam an den Demonstrationen beteiligt. Berichten zufolge liefen Aufstachelungsversuche während der letzten Wochen ins Leere.

Dennoch muß dieses heikle Thema weiter beobachtet werden. Eine neue Regierung in Bischkek wird sich hoffentlich vorbeugend verhalten und unter Umständen einen Usbeken in ein neues Kabinett benennen.

Kirgisien als Schachfigur der Geostrategie?

Das ‚Große Spiel’ der Supermächte wurde in Zentralasien schon oftmals an die Wand gemalt. Im Zusammenhang mit der Staatskrise in Kirgisien spielen internationale Interessen jedoch nur eine sekundäre Rolle.

Unter Präsident Akajew war die Ausrichtung des Landes „eindeutig bipolar“. Unweit der amerikanischen Militärbasis auf dem Flughafen Manas befindet sich im Osten Bischkeks seit 2003 auch ein russisches Pendant, der Militärstützpunkt Kant.

Auch mit China pflegte Kirgisien seit jeher gute bilaterale Beziehungen. Im Rahmen der Shanghai-Kooperation leistete Peking seit dem 11. September ‚Hilfslieferungen’ für die hoffnungslos veraltete Militärausrüstung Kirgisiens.

Die Präsenz dieser drei Super- bzw. Großmächte, wenn auch für viele naheliegend, spielte während der Vertreibung Akajews nur eine untergeordnete Rolle.

Die Protestbewegungen, die aus dem Süden gen Norden rollten, waren nicht von vom Westen gesponserten Nichtregierungsorganisationen (NGO) initiiert. Eine Studentenorganisation, die eine prominente Rolle während der ereignisreichen Tage spielte, erhält für ihre Arbeit (leider) keinen einzigen Som bzw. Dollar an Unterstützung.

Auch die neue Aussenpolitik bleibt „eindeutig bipolar“

Da die ‚neuen’ Machthaber in Bischkek die bisherige Außenpolitik nicht fundamental umwälzen werden, sind geostrategische Beweggründe auch nur schlecht greifbar. Die Rolle des Westens, insbesondere die der USA, läßt sich vielleicht an zwei gegensätzlichen Beispielen festmachen: Die amerikanische Nichtregierungsorganisation ‚Freedom House’ unterstützte die Oppositionszeitung MSN, nachdem deren Druckerei die Elektrizität abgeschaltet worden war.

Scheint dies eine direkte Involvierung in die politischen Angelegenheiten Kirgisiens zu sein, so passen aber die Äußerungen der OSZE und auch der amerikanischen Botschaft während der Proteste in Dschalalabad nicht so recht ins Bild. Beide Behörden verurteilten die teils gewalttätigen Demonstrationen und riefen beide Seiten im Vorfeld zu verstärkten Verhandlungen auf.

Die internationale Gemeinschaft kann entschiedenen Einfluß auf die Stabilität in Kirgisien nehmen.

Rußland hat bereits umfangreiche Öllieferungen angekündigt und zeigt sich generell sehr kooperativ, was sich schon im Vorfeld mit dem Besuch Bakijews anzudeuten schien. Der Westen könnte trotz Beteuerung der Zahlungsfähigkeit seitens des kirgisischen Finanzministeriums internationale Kredite stunden. Kirgisiens Machtwechsel ist kein Schauplatz verdeckter internationaler Interessenskonflikte.

Auf längere Sicht jedoch ist ein in vielen Entwicklungsländern sichtbares Problem zu erwarten. Die internationalen Organisationen können durch ihre verhältnismäßig hohen Gehälter den exzellentesten Nachwuchs rekrutieren. Dem Staatsapparat fehlt dadurch oftmals das so wichtige und für die Entwicklung notwendige ‚Humankapital’. Kirgisische Angestellte in Zivilgesellschaftsorganisationen werden somit weiterhin Mißstände in der Verwaltung beklagen, deren Lösung sie vielleicht selbst sein könnten.

Zentraler Faktor Wirtschaft - ‚It’s the economy, stupid’

Das weitaus wichtigste Konfliktpotential verbirgt sich jedoch in der äußerst schwierigen wirtschaftlichen Lage der zentralasiatischen Republik. Im Gegensatz zu Kasachstan und Turkmenistan verfügt Kirgisien über keine Öl- bzw. Gasvorräte und lenkt somit nicht den Investment-Boom auf sich, den man beispielsweise in Almaty beobachten kann.

40 Prozent des kirgisischen Außenhandels wickelt eine einzige Goldmine unweit des Issyk-Kul-Sees ab. Angesichts der allgemeinen Schwäche der offiziellen Wirtschaft ist das spezifische Gewicht des grauen und inoffiziellen Sektors - des grenzüberschreitenden Kleinhandels und des Drogenanbaus und -Transits - relativ hoch.

Kurz- und mittelfristig steht in dieser Sachlage keine Besserung zur Aussicht. Der radikale Umbau der ex-sowjetischen Wirtschaft, überschattet von weitläufiger Korruption und Oligarchie, senkte das Pro-Kopf-Einkommen des kirgisischen Durchschnittsbürgers unter 30 Euro im Monat.

Die Proteste, derer die Weltöffentlichkeit in der letzten Woche Zeuge wurde, richteten sich nur oberflächlich gegen die Wahlmanipulationen. In Wahrheit waren sie Ausdruck einer weitverbreiteten Resignation angesichts der stagnierenden Wirtschaft. Ein ‚gesundes’ Wirtschaftswachstum über die letzten Jahre verfehlte es gänzlich, greifbare Verbesserungen für den großen Teil der Bevölkerung zu erzeugen.

Kann und will Bakijew eine Umverteilung des Oligarchen-Reichtums ?

Die Priorität einer jeden neuen Administration ist also zweifellos die Verbesserung der miserablen Wirtschaftslage. Bakijew, der wohl die besten Qualifikationen für diese Aufgabe mitbringt, muß sich wohl entscheiden, ob er diesbezüglich den großen und zum Teil auch unrechtmäßig erworbenen Besitzstand der Oligarchie antasten möchte. Die einfachen Menschen auf der Straße und all diejenigen, die unter der Führung der ‚alten’ Neuen auf die Straße gegangen sind, erwarten dies von ihm

Kirgistan ist ein armes Land und wird dies aller Voraussicht nach auch bleiben. Die Leute werden dieser Realität wohl trotz der Ereignisse im März ins Auge blicken müssen.

Der zusehends immer unverdientere Status der ‚Insel der Demokratie’ inmitten der autoritären Staaten Zentralasiens – war während der jungen Phase seit der Unabhängigkeit eine der größten Einnahmequellen Kirgisiens. Internationale Hilfsgelder als Belohnung für anfangs demokratische Reformen flossen reichlich.

Kirgisien muß sich wohl damit begnügen, anstelle von großen Ölvorräten Demokratie als Kassenschlager zu betrachten.

Sollten die nächsten Präsidentschaftswahlen dem Anspruch der Transparenz und Fairneß gerecht werden, sieht die Zukunft des Landes vielleicht auch gar nicht mehr so düster aus.








Über den Autor:

* , 23, ist der Herausgeber von Thinking-East, einem Online-Magazin, welches Berichte junger Menschen aus Zentralasien veröffentlicht. 2004 arbeitete Paarmann bei der International Foundation for Election Systems in Bischkek und verschaffte sich Einblicke in die politische und wirtschaftliche Situation vor Ort. Der Autor studiert Wirtschaftswissenschaften und Entwicklungssoziologie in London.








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