Donnerstag, 31.03.2005
Über 35.000 Verkehrstote in Russland pro JahrMoskau. Es gibt zwei große Probleme in Russland, besagt ein Sprichwort: die Dummköpfe und die Straßen. Wenn auch noch beides zusammenkommt, kann das ja nicht gutgehen. Dementsprechend liest sich die russische Verkehrsstatistik: Mehr als 35.000 Menschen kamen im vergangenen Jahr bei Unfällen auf der Straße ums Leben.
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Diese Zahl ist so hoch, dass sie unglaubwürdig klingt. Wer allerdings schon einmal selbst den Versuch gewagt hat, in Moskau die Straße zu überqueren, findet die Statistik vielleicht realistischer. Es gibt mancherorts kaum Ampeln und Übergänge für Fußgänger; und selbst bei grünem Licht ist der Moskauer nicht vor agressiven Autofahrern sicher, die sich ihre eigenen Verkehrsregeln machen.
Sicherheitsbelehrung in der Metro
Mittlerweile werden die Bürger selbst in der Metro durch Lautsprecheransagen zur Vorsicht im Straßenverkehr ermahnt. Eine der üblich lang andauernden Fahrten auf einer U-Bahn-Rolltreppe reicht ja bekanntlich zur Vermittlung der unterschiedlichsten Informationen.
So klärt die blecherne Lautsprecherstimme über die hohe Anzahl Verkehrstoter in Moskau auf und fordert die Fahrgäste auf, nur bei grünem Licht und sehr umsichtig die Straßen zu überqueren. „Ein Auto hat einen Bremsweg von 30m oder mehr - für Sie ist es nur ein Schritt!“ rechnet die nun fast vorwurfsvoll klingende Blechstimme vor. Und das, obwohl die Fußgänger als schwächstes Glied im Verkehrssystem weniger oft die Schuld an Autounfällen tragen, dafür aber ein ungleich höheres Verletzungsrisiko.
Über 8.800 Crashs im Jahr
Laut Angaben der Verkehrspolizei Moskau kam es im Jahre 2004 insgesamt zu 8.873 Verkehrsunfällen auf den Straßen der Hauptstadt; die Zahl ist nur geringfügig höher als im Vorjahr. Dabei kamen 1.134 Menschen zu Tode, 9.555 wurden verletzt. Insgesamt sind weitaus mehr Autofahrer (96,8%) als Motorradfahrer (3,2% ) an Verkehrsunfällen beteiligt.
Survival-Training auf Moskaus Straßen
Zum Überqueren der Straße gibt es verschiedene Techniken, die der unerfahrene Ausländer erst erlernen muss. So wird empfohlen, weitläufige Straßen zügig -möglichst im Lauftempo- zu überqueren. Dabei sei es jedoch wichtig, auf keinen Fall einen gehetzten Eindruck zu machen- sonst drückten die Fahrer extra aufs Gas.
Jedenfalls ist es erfahrungsgemäß nicht verkehrt, sich stets größeren Fußgängergruppen anzuschließen. Besonders sicher ist der unerfahrene Fußgänger in unmittelbarer Nähe finster blickender und muskulöser Moskauer, die den Eindruck erwecken, einem unvorsichtigen Autofahrer eindrücklich sein Fehlverhalten klar zu machen.
Verkehrschaos in der Rush Hour
Mit der Rücksicht der Fahrer sollte man jedenfalls in der russischen Hauptstadt besser nicht rechnen. Besonders zur Rush Hour herrscht auf vielen Straßen der Stadt ein regelrechtes Verkehrschaos, die Autofahrer sind besonders gereizt und ihr Fahrstil ist agressiv. Aber Moskaus Straßen sind nicht nur zur Hauptverkehrszeit überfüllt. An Wochentagen ziehen sich quasi rund um die Uhr kilometerlange Staus durch die Stadt. Und jedes Jahr erwerben weitere 120.000 Hauptstädter den Führerschein.
Führerschein auch ohne Fahrschule
Eine Besonderheit gibt es dazu in Russland, von der allerdings nur etwa ein Sechstel der Fahranwärter Gebrauch macht: Der Weg in die Fahrschule ist nicht obligatorisch. Wer sich also selbständig auf die Theorie- und Praxisprüfung vorbereiten will, schätzt sein Fahrkönnen selbst ein und kann sich zu einem beliebigen Zeitpunkt zur Prüfung anmelden.
Keine Gurtpflicht auf Russlands Straßen
Weiter kommt hinzu, dass auch nicht viel Wert auf die Sicherheit der Autoinsassen gelegt wird. Es gibt keine Anschnallpflicht, was die Verletzten- und Totenstatistiken bei Verkehrsunfällen noch zusätzlich unnötig in die Höhe treibt. Auch die offiziellen Geldstrafen für Verkehrssünden sind im Vergleich zu den europäischen beinahe lächerlich.
Rasen ist in Russland erschwinglich
So kann eine Geschwindigkeitsüberschreitung bis zu 60 Stundenkilometern einen russischen Fahrer 100-300 Rubel (2,80-8,30 Euro) kosten. In Deutschland sind es im Vergleich 102-332 Euro, in England wird es richtig teuer: bis zu 1.184 Euro muss der Raser für den Geschwindigkeitsrausch auf den Tisch legen. Eine rote Ampel zu ignorieren, wird in Russland ebenfalls mit einer lächerlich niedrigen Strafe sanktioniert - 100 Rubel (2,80 Euro) kostet die Mißachtung des Haltesignals. Im Vergleich zahlt der französische Fahrer 760 Euro, der englische Straßensünder sogar runde 1.500 Euro.
Trinken am Steuer wird teuer
Umso erstaunlicher, dass in Russland das Fahren in betrunkenem Zustand mit einer vergleichsweise relativ hohen Geldstrafe von 1.000-2.000 Rubeln (27,70-55,40 Euro) belegt wird und den Fahrer sogar für ein Jahr den Führerschein kosten kann. Dennoch wird in anderen Ländern für das gleiche Vergehen mehr gezahlt: in Dänemark wird Trunkenheit am Steuer mit bis zu 450 Euro Geldstrafe und bis zu 14 Jahren Führerscheinentzug geahndet. In Japan riskieren betrunkene Fahrer gar eine Freiheitsstrafe inklusive Zwangsarbeit von bis zu zwei Jahren.
Sicher auf die Straße - kinderleicht?
Eine weitere traurige Statistik betrifft die Anzahl der Kinder, die Opfer von Verkehrsunfällen wurden. In Moskau steige sie stetig, meldet „Wetschernaja Moskwa“. Seit Anfang des Jahres 2005 wurden vier Kinder bei Unfällen getötet und weitere 148 verletzt.
Die Verkehrspolizei startet nun in der Hauptstadt ein Projekt zur Prävention im Straßenverkehr. Im Zuge dessen sollen die Kinder ein Sicherheitstraining zum richtigen Verhalten auf Moskaus Strassen durchlaufen und sich in einem Aufsatzwettbewerb spielerisch mit dem Thema Verkehrssicherheit auseinandersetzen.
(aj./rufo)
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