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Niko Rickert leitet das Moskau Büro von +aap in Moskau (Foto: Privat). |
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Donnerstag, 27.09.2007
Moskaus Wachstum wird zum Problem für StadtplanerMoskau. Die russische Hauptstadt wächst in einem unglaublichen Tempo. Staus, Lärm und Smog sind nur einige der negativen Folgen. Russland-Aktuell sprach mit dem Architekten Niko Rickert über die Entwicklung.
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R-A: Wie hat sich Moskau in den letzten Jahren verändert?
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Rickert: Die Stadt ist momentan weder von der Infrastruktur her, noch von den sozialen Bauten, der Verkehrsplanung oder der Entwicklung der landschaftlichen Teile des Städtebaus (Grün- und Freizeitanlagen) den Anforderungen gewachsen, die an sie gestellt werden. Die Entwicklung, die der bis 2020 geltende Generalplan vorsieht, ist von den Entwicklungen der Stadt überholt worden.
Das liegt daran, dass Moskau, das immer schon politisches Zentrum war, in den letzten Jahren so massiv, auch wirtschaftlich, in das Zentrum des Landes gerückt ist, wie es die Stadtplaner nicht vorhersehen konnten.
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R-A: Wie viele Wohnungen fehlen eigentlich in der Stadt?
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Rickert: Die Stadt ist für neun Millionen Menschen ausgelegt, man sagt, 15 Millionen leben hier. Also kann man sich ungefähr ausrechnen, wie hoch das Defizit zu beziffern ist.
Zudem hat die Stadt innerhalb des MKAD (Autobahnring um Moskau herum) kaum noch Möglichkeiten, weiteren Wohnraum zu bauen, selbst in der Verdichtung wie dies jetzt schon stattfindet man baut ja vielmehr in die Höhe als früher. Denn das zieht gravierende infrastrukturelle Probleme nach sich.
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Ein anderer Aspekt des Wohnraumproblems ist, dass die Wohnung oder das Haus wesentlich stärker zum Spekulationsobjekt geworden sind als früher. Obwohl ein großes Defizit herrscht, sind noch lange nicht alle Wohnungen belegt. Vielfach stehen sie leer und werden als Spekulationsobjekt gehalten, das an Wert wächst.
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R-A: Sie stehen leer, weil auf diese Art der Wohnraumpreis noch gesteigert werden kann?
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Rickert: Man kann diese Brücke schlagen. Für viele macht es Sinn, sich Wohnungen als Kapitalanlagen zu kaufen und ihnen ist es egal, ob die Wohnungen bewohnt sind oder nicht.
Natürlich ist dies nicht die Mehrheit der Wohnungen, es gibt natürlich ein Interesse daran, dass die Mehrheit der Wohnungen belegt ist, aber trotz alledem ist noch kein Optimierungsgrad erreicht zwischen dem Bedarf und der Nutzung des tatsächlich Vorhandenen.
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R-A: Welche stadtplanerischen Probleme ergeben sich aus dem Wachstum?
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Niko Rickert |
Niko Rickert leitet das Moskauer Büro von aap (assoziierte Architekten und Planer). Seit 2003 ist er in der russischen Hauptstadt, hat den Klub der deutschen Architekten und Ingenieure in Moskau gegründet. Kontakt: [email protected] |
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Rickert: Ich kann das mal in Ziffern ausdrücken: Es gibt 3,3 Millionen registrierte Fahrzeuge in Moskau, aber nur 1,6 Millionen Stellplätze. Dies ist schon mal ein offensichtliches Problem.
200.000 neue Autos kommen jährlich hinzu, circa 800.000 befinden sich ständig auf der Straße. Moskau hat ein Straßennetz von 1.300 Kilometern, was 40 Prozent unter dem Verdichtungsgrad liegt, den die Stadt eigentlich haben müsste auch im Vergleich zu anderen europäischen Metropolen.
Das Spinnenetzsystem Moskaus ist nicht optimiert und das hängt einfach auch damit zusammen, dass die Stadtplaner nicht voraussehen konnten, dass sie mit so einem gewaltigen Stadtwachstum konfrontiert werden.
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R-A: Welche Lösungen gibt es denn, um Moskau etwas menschenfreundlicher zu gestalten?
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Rickert: Es gibt natürlich Ansätze im Generalplan: Das Verdichten des Verkehrsnetzes, ein Verlagern der Arbeitsplätze aus dem Moskauer Zentrum, die Schaffung von Trabantensiedlungen außerhalb des MKAD, die alles in sich beherbergen also keine reinen Schlafstädte, sondern vollwertige Subzentren mit allen nötigen infrastrukturellen, sozialen und kulturellen Einrichtungen sind.
Das ist eine sehr kosten- und planungsintensive Entwicklung. Doch nur das kann auf Dauer die Situation innerhalb des Autobahnrings entschärfen.
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Alle anderen Entwicklungen sind eher besorgniserregend. Wenn man an die Schaffung von Industriezentren am dritten und vierten Ring denkt, dann findet dort erneut eine Wohnraumverdichtung statt, die die Stadt an sich gar nicht mehr verkraften kann.
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R-A: Warum ist das Zentrum so begehrt in Moskau? Es gibt zwar zahlreiche Aktionen, die Industrie auszusiedeln, aber es wollen dennoch alle im Zentrum wohnen und arbeiten.
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Rickert: Das hat wirtschaftliche Wurzeln. Ich habe schon gesagt, dass die Wohnungen Spekulationsobjekt sind. Nach Moskau fließt Geld aus ganz Russland und die Wohnungen im Zentrum werden von wohlhabenden Potentaten aus ganz Russland als Kapitalanlage und Investitionsobjekt genutzt.
Zudem nimmt der Kapitalfluss ausländischer Firmen durch das verbesserte Investitionsklima in Russland ebenfalls zu. Für die meisten der global player ist der Sitz in der Innenstadt understatement. Das heißt Büroräume werden im Zentrum eher mehr, Wohnungen eher weniger.
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Die Entwicklung aus Moskau heraus findet statt, stößt aber auf das Problem, dass das Moskauer Umland noch nicht den Stand erreicht hat, um mit der Moskauer Innenstadt zusammenzuwachsen. Infrastrukturell sind die neuen Ansiedlungen rund um Moskau den Anforderungen nicht gewachsen, die an sie gestellt werden.
Sie werden oftmals auf der grünen Wiese gebaut, die Straßen werden trotz steigenden Verkehrsaufkommens nicht ausgebaut. Andererseits bieten die neuen Städte weder genügend Arbeits-, noch Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten, damit die Menschen auf die Fahrt ins Zentrum verzichten können. Darum sind die Wege nach Moskau morgens um 8:00 Uhr dicht. Die Luft auf dem Land ist zwar besser, doch die infrastrukturellen Defizite wiegen bislang noch schwer.
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R-A: Wie lange hält der Bauboom in Moskau noch an?
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Rickert: Platz gibt es eigentlich noch. Durch die Revitalisierung der Industriezonen gibt es ja Flächen. Allerdings werden sie durch den Bau von Bürogebäuden so verdichtet, dass sie eigentlich überlastet werden. Ein Grundstück ist ja kein Schwamm, der alles aufnehmen kann. Zu dem Grundstück fließen ja Ströme hin, die kontrolliert und gelenkt werden müssen. Und das klappt nicht.
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Investoren bleiben aber lieber im Zentrum, da die Stadtregierung in den Randzonen zu wenig investiert für die Erschließung. Zudem macht die Konkurrenz zwischen den zwei Föderationssubjekten Moskau und Moskauer Gebiet zusätzliche Probleme.
Es gibt zum Beispiel keinen Generalplan, der herauswächst aus Moskau, was nötig wäre damit die Verzahnung zwischen Moskau und dem Moskauer Gebiet stattfinden könnte.
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Die Büroflächen lassen sich außerdem im Zentrum teurer vermieten. 10 Jahre wird es wohl noch dauern, bis der Sättigungsgrad erreicht ist. Das hängt aber auch von politischen und wirtschaftlichen Faktoren ab.
Wir haben gerade die Kreditblase in den USA gesehen. Das Problem hat Russland auch. Die Kredite werden sehr leichtfertig vergeben und ich zweifle daran, dass die russischen Kreditnehmer die Reife haben, damit vernünftig umzugehen. Das wird auch Auswirkungen auf Moskau haben.
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R-A: Wie real sind denn die Miet- und Immobilienpreise in Moskau?
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Rickert: Sie sind, wie allgemein bekannt, die höchsten in der Welt. Die Qualität der Objekte entspricht aber keinesfalls dem Kostenniveau. Es gibt einen deutlichen Qualitätsunterschied zu westlichen Städten.
Es gibt das Verkehrsproblem. Man kann es nicht häufig genug wiederholen, dass dies eines der gravierendsten Probleme ist. Es gehen jährlich zig Milliarden verloren durch die katastrophale Verkehrssituation: Man stelle sich vor, verspätete oder nicht zustande gekommene Geschäftstreffen, Verzögerungen bei Warenauslieferungen es ist eine Kette ohne Ende. Das ist unheimlich teuer.
Wohnen in der Innenstadt ist daher eher Prestige als Luxus. Die hohe Luftverschmutzung trägt ebenfalls zur Minderung des Wohnwertes.
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Andererseits ist die Nachfrage nach hochwertigem Wohnraum da. Sie ist nicht gestillt, da der Großteil der angebotenen Ware noch aus Sowjetzeit stammt, was sich erst nach und nach ändert. Erst langsam zieht sich der Staat aus dem Wohnsektor zurück. Bleibt zu hoffen, dass dadurch Modernisierungen angeschoben werden. Noch geht dies allerdings sehr langsamen vonstatten.
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R-A: Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte André Ballin.
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