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Trauer in Odessa: Bürger legen Blumen am ausgebrannten Gewerkschaftshaus nieder, dem Schauplatz einer brutalen Straßenschlacht (Foto: fontanka.ru)
Trauer in Odessa: Bürger legen Blumen am ausgebrannten Gewerkschaftshaus nieder, dem Schauplatz einer brutalen Straßenschlacht (Foto: fontanka.ru)
Samstag, 03.05.2014

Ukraine: Armee umzingelt Slawjansk, 46 Tote in Odessa

Moskau/Kiew. Die wohl einzige gute Nachricht aus dem ukrainischen Krisengebiet: Die in Slawjansk festgehaltenen OSZE-Militärbeobachter sind wieder frei. Während dort die Armee vorrückt, forderte ein Feuer bei Straßenkämpfen in Odessa 40 Tote.

Am Samstag Nachmittag war es endlich so weit: Alle Angehörige der in die Hände der Separatisten von Slawjansk gefallenen Militärbeobachter-Delegation, darunter vier Deutsche und fünf ukrainische Offiziere als Begleiter, wurden frei gelassen. Der russische Menschenrechtsbeauftragte Wladimir Lukin holte sie in Slawjansk ab.

Über eine Woche waren die Geiseln in der Hand der dortigen Milizen unter „Bürgermeister“ Wjatscheslaw Ponomarjow gewesen, der sie mal als „Gäste“, mal als „Kriegsgefangene“ bezeichnet hatte. Die Abfahrt ins 90 Kilometer entfernte Donezk verzögerte sich aber zunächst, da es auf der Straße dorthin Schusswechsel zwischen den Verteidigern von Slawjansk und Armee-Einheiten gab.

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Erneut Vormarsch auf Slawjansk


Denn am frühen Freitag Morgen hatten Armee und Nationalgarde die „Anti-Terror-Operation“ gegen die von den Anhängern der „Volksrepublik Donezk“ gehaltenen Orte wieder aufgenommen. Die Soldaten nahmen zahlreiche Straßensperren ein, mit denen die Separatisten den Vormarsch der Kiewer Truppen aufhalten wollten. Dabei gab es auch Unterstützung aus der Luft mit Kampfhubschraubern. Die Separatisten schossen jedoch zwei dieser Helikopter ab und nahmen einen verletzten Piloten gefangen.

Das Stadtgebiet von Slawjansk war am Samstag jedoch weiterhin in der Hand der Bürgerwehr, während die Armee jetzt nach eigenen Angaben alle 14 Zufahrtstraßen in die Stadt kontrolliert. In Kiew hatte die Einsatzführung zuvor eingestanden, dass ihre Einheiten nicht so gut vorankämen wie geplant.

So zeigten mehrere ins Internet gestellte Videofilme, wie eine größere Gruppe von Zivilisten beim Dorf Andrejewka eine Militärkolonne an der Weiterfahrt hinderte. Später habe sich diese Einheit den Weg mit Gewalt freigemacht, heißt es. Dabei sind nach Angaben der Slawjansker Bürgerwehr zehn Zivilisten getötet und 40 verletzt worden.

In die 20 Kilometer südlich von Slawjansk gelegene Stadt Kramatorsk rückten am Samstag jedoch Panzerkolonnen ins Stadtgebiet ein. Wie die russische Agentur RIA Nowosti unter Berufung auf einen der Anführer der dortigen Bürgerwehr berichtet, hält diese jetzt nur noch den zentralen Platz und die umliegenden Gebäude.

Nach Angaben aus Kiew kamen bei der Militäroperation bisher fünf Mann aus den eigenen Reihen ums Leben, auf der Gegenseite seien es jedoch bedeutend mehr. Seitens der Milizen wurden aber nur vier Gefallene bestätigt.

Feuer als Waffe in Odessa: Brand nach Straßenschlacht


Während der Konflikt in der Ostukraine am Freitag immer mehr die Gestalt eines offenen Krieges annahm, rückte jedoch unvermittelt die Hafenstadt Odessa in den Fokus des Geschehens gerückt. Bislang war die Millionenstadt ein relativ ruhiges Pflaster und konnte kaum der Konfliktzone im Osten der Ukraine zugerechnet werden. Doch dann kam es zu heftigen Straßenschlachten zwischen nationalistischen Fußballfans und einer Bürgerwehr auf der einen Seite und “Antimaidan“-Aktivisten auf der anderen. Beide Gruppen waren zunächst über parallele Straßen durch die Innenstadt gezogen – und dann mit enormer Aggression und Brutalität übereinander hergefallen.

Wie eine Korrespondentin von Radio Svoboda berichtet, hatten die prorussischen Föderalisierungs-Anhänger ihren Angriff auf die Demo der ukrainischen Nationalisten zuvor auf Internetforen abgesprochen – er sei für diese nicht im Geringsten überraschend gekommen, entsprechend hatten sich die unter der blau-gelben Landesflagge Marschierenden mit Helmen, Schildern und Waffen aller Art gewappnet. Die Polizei habe hingegen durch Abwesenheit geglänzt.

Bei den Straßenkämpfen wurden sechs Menschen getötet – doch das Schlimmste stand Odessa noch bevor: Die Nationalisten stürmten ein kleines Zeltlager, dass die Föderalisierungsanhänger seit einiger Zeit vor dem Gewerkschaftshaus aufgeschlagen hatten und setzten es in Brand. Die Prorussen hatten sich währenddessen in den mächtigen Bau aus der Stalinzeit zurückgezogen – auf den nun Molotowcocktails flogen. Dadurch geriet das Gebäude in Brand.

Die Bilanz nach der Brandnacht ist erschreckend: 40 Menschen kamen bei dem Feuer zu Tode, die meisten sind im Qualm erstickt, manche auch bei verzweifelten Sprüngen aus den Fenstern gestorben. Zeugen beobachteten, wie Demonstranten auf Personen einschlugen, die sich robbend aus den Flammen gerettet hatten. Am nächsten Morgen nahm die Polizei eine Gruppe von etwa 50 Personen fest, die die Nacht über auf dem Dach des Gewerkschaftshauses ausgeharrt hatte.

Nach Angaben der Polizei von Odessa wurden bei dem Gewaltausbruch auch 125 Menschen verletzt, darunter 21 Polizisten. Insgesamt 160 Personen wurden festgenommen, darunter auch der Anführer der örtlichen Sektion des faschistoiden „Rechten Sektors“.

Putin schweigt, sein Sprecher gibt sich ratlos


Russland hält sich bei seinen Reaktionen auf den erneuten Angriff auf die prorussischen Kräfte in der Ostukraine sowie auf das Drama von Odessa bislang merklich zurück. Als vor einer Woche die Kiewer Führung mit einem massiven Vormarsch von Truppen auf Slawjansk begann, hatte Moskau noch gleichentags ein Großmanöver unmittelbar an der Grenze zur Ukraine begonnen. Angeblich soll diese Drohgebärde damals dazu geführt haben, dass die „Anti-Terror-Operation“ abgebrochen wurde.

In Moskau trat am Samstag lediglich Putins Pressesprecher Dmitri Peskow vor die Presse. Wladimir Putin verfolge intensiv das Geschehen in der Ukraine, aber wie Russland nun reagieren werde, könne er nicht sagen, die Lage sei „völlig neu“, erklärte Peskow.

Auch habe die russische Führung „wie jedes andere Land auch“ jeden Einfluss auf die Aufständischen in der Südost-Ukraine verloren. „Es ist unmöglich, sie zum Abgeben ihrer Waffen zu bewegen, wenn ihre Leben durch Radikale, Nationalisten und die Streitkräfte bedroht werden, die verbrecherische Befehle befolgen und ihr eigenes Volk umbringen“, so Peskow.

Schuld sind immer die anderen


Peskow betonte, dass es unter den gegebenen Umständen unmöglich sei, die für den 25. Mai geplanten Präsidentenwahlen in der Ukraine abzuhalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama hatten hingegen in Washington ihre gemeinsame Haltung unterstrichen, dass die geplante Wahl nicht durch die bewaffneten Gruppen gestört werden dürfe – andernfalls drohten weitergehende Sanktionen gegen Russland.

Auch das Drama von Odessa wird unterdessen mit gegenseitigen politischen Schuldzuweisungen abgearbeitet: Russlands UN-Botschafter sprach auf einer Sicherheitsratssitzung von Faschisten, die unschuldige Bürger in den Flammentod getrieben hätten. Putins Sprecher sieht die ukrainische Führung „bis zu den Ellenbogen im Blut“.

Aus Kiew wurde hingegen Russland für das Drama verantwortlich gemacht: Moskaus Geheimdienst FSB habe die prorussischen Demonstranten insgeheim bewaffnet, hieß es zunächst. Später wurde vom ukrainischen Geheimdienst SBU eine andere Version nachgeschoben: Die Krawalle sei mit FSB-Hilfe vom Umfeld des nach Russland geflohenen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch zur Destabilisierung der Lage im Süden der Ukraine angezettelt worden.

Dazu seien auch Aufrührer aus der nahen, Russland-orientierten Dnjestr-Republik nach Odessa gekommen. Bei den ersten sechs identifizierten Opfern des Brandes handelte es sich nach Polizei-Angaben aber durchgehend um Einheimische.



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