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Das russische Verfassungsgericht in St. Petersburg wird am 9. November das heikle Thema Todesstrafe auf der Tagesordnung haben. (Foto: newsru.com) |
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Freitag, 30.10.2009
Scharfe Diskussion um Wiedereinführung der TodesstrafeMoskau. Die Anfrage des Obersten Gerichtshofs beim Verfassungsgericht, ob in Russland die Todesstrafe wiedereingeführt werden kann, löst in Politik und Gesellschaft eine äußerst kontroverse Diskussion aus.
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Seit dem 2. Oktober 1999 gilt in Russland ein Moratorium für die Todesstrafe. Nach zehn Jahren bietet sich jetzt zumindest formal die Möglichkeit, dieses Moratorium aufzuheben, denn ab dem 1. Januar 2010 wird es im ganzen Land das Institut der Geschworenengerichte geben (bisher hatte es in Tschetschenien gefehlt).
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Andererseits hat Russland das sechste Protokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention unterzeichnet, das die Abschaffung der Todesstrafe festlegt. Befürworter der Wiedereinführung führen allerdings an, dass Russland dieses Protokoll niemals ratifiziert hat.
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Am 9. November wird das Verfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Todesstrafe ab dem 1. Januar nächsten Jahres als Höchststrafe verhängt werden kann oder nicht. Im Vorfeld scheiden sich an dieser brenzligen Frage die Geister.
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Argument dafür: Russland ist ein großes Land mit viel Kriminalität
Die Position der Hardliner formuliert Ljubow Sliska, Vizesprecherin der Staatsduma und stellvertretende Vorsitzende der Kreml-Fraktion Einiges Russland: Ich war immer für die Todesstrafe, sagt sie. Russland ist ein sehr großes Land und die Kriminalität hat ohne Todesstrafe sehr stark zugenommen.
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Zur Anwendung soll die Todesstrafe kommen bei schweren Verbrechen gegen Kinder und alte Menschen sowie schweren Wirtschaftsverbrechen. Mit dieser Argumentation kann Frau Sliska sich wenn schon nicht auf die meisten ihrer Politikerkollegen, so doch auf die absolute Mehrheit ihrer Mitbürger stützen.
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63 Prozent der Bevölkerung wollen die Todesstrafe wiederhaben
Seit 1989 durchgeführte Umfragen zeigen eine erschreckende Kontinuität: Die absolute Mehrheit der russischen Bürger will die Todesstrafe als strengstes Mittel der Justiz. Sprachen sich vor 20 Jahren 70 Prozent dafür aus, so waren es bei der letzten Umfrage 2006 immer noch 63 Prozent.
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Dies ist umso erstaunlicher, als 43 Prozent der Russen der Meinung sind, die Gerichte würden ungerechte Urteile fällen; und 46 Prozent haben kein Vertrauen in die Miliz. Da taucht doch schnell die Frage auf: Wie kann solch ein vertrauensunwürdiger Staat dann das verfassungsmäßig verankerte Recht bekommen, Menschen hinzurichten?
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Die Todesstrafe ist die allergefährlichste Sache!
Viele Duma-Abgeordnete teilen weder die Meinung ihrer Vizesprecherin noch die des gemeinen Volkes. Bei uns wird die Todesstrafe nicht angewendet, und das ist gut, sagt dazu der Vorsitzende des Ausschusses für Gerichtsgesetzgebung Pawel Kraschennikow.
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LDPR-Chef Wladimir Schirinowski formuliert seine Position wie gewohnt ganz offen: Die Todesstrafe ist die allergefährlichste Sache!, sagt er und beruft sich dabei auf die westeuropäische Gerichtspraxis. In Europa wird seit langem keiner mehr hingerichtet, und Russland sollte sich in dieser Frage kein Beispiel an Ländern wie Korea oder China nehmen, ist er überzeugt.
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Medwedew will keine Todesstrafe?
Kremlkenner wollen wissen, dass der russische Präsident Dmitri Medwedew nicht gewillt ist, das Moratorium auf die Todesstrafe aufzuheben. Anscheinend will er diese Position bei der Jahresansprache vor der Föderationsversammlung im November zum Ausdruck bringen.
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Es gibt aber auch andere Stimmen, die laut der Zeitung Wedomosti der Meinung sind, Medwedew würde sich für die Todesstrafe bei Schwerstverbrechen gegen Kinder aussprechen. Die Pressesprecherin des Präsidenten hat dagegen mehrmals betont, die Aufhebung des Moratoriums sei im Kreml kein Thema.
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Orthodoxe Kirche fordert Barmherzigkeit
Die Position der Russisch-Orthodoxen Kirche ist eindeutig: Es wäre besser, wenn es keine Todesstrafe gäbe, sagt Wseweolod Tschaplin, Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen von Kirche und Gesellschaft.
Die christliche Gesellschaft ist immer auf ein Maximum an Barmherzigkeit ausgerichtet, gibt er zu bedenken. Und: Wenn eine Gesellschaft stark genug ist, um sich vor Verbrechen und bösem Willen zu schützen, kann sie Verbrechern gegenüber Barmherzigkeit walten und ihnen ihr Leben lassen.
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Ramsan Kadyrow zeigt sich von der humanen Seite
Manchen mag es überraschen, aber auch der als Kriegshetzer und grausame Diktator verschriene tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow spricht sich gegen die Todesstrafe aus. Er ist der Meinung, dass Probleme wie Verbrechen und Terror nicht allein mit dem Höchstmaß an Strafe gelöst werden können.
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Er tritt dem alten Argument entgegen, die Todesstrafe würde abschreckend auf Verbrecher wirken. Das Höchststrafmaß wird in den USA, in China, dem Iran und anderen Ländern angewendet. Aber hat es irgendeinen Einfluss auf die Verbrechensrate?
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In vielen Ländern ohne Todesstrafe sei das Ausmaß an Verbrechen dagegen sehr gering. Außerdem gäbe es überhaupt keine Garantie, dass es nicht zu Prozessfehlern kommt, die einen völlig Unschuldigen um sein Leben bringen.
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