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Geknickte Wahlsieger: Dmitri Medwedew und Wladimir Putin mussten herbe Verluste hinnehmen (Foto: rt.com)
Geknickte Wahlsieger: Dmitri Medwedew und Wladimir Putin mussten herbe Verluste hinnehmen (Foto: rt.com)
Montag, 05.12.2011

Russlands Wähler lassen Putin um Mehrheit zittern

Moskau. Die ersten Ergebnisse der Duma-Wahl weisen auf eine politische Sensation in Russland hin: „Einiges Russland“, die Partei von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew, erreicht möglicherweise keine absolute Mehrheit in der Staatsduma.


Von „Wahlsieg“ kein Wort: Ohne Krawatten, aber sichtlich nicht in Feierlaune trat anderthalb Stunden nach Schließung der letzten Wahllokale in Kaliningrad, dem westlichsten Landesteil Russlands, das Tandem vor die Kameras: Dünner Applaus und versteinerte Gesichter empfingen in der Parteizentrale der Kreml-Hauspartei „Einiges Russland“ (ER) den Parteichef und Premierminister Wladimir Putin und den Präsidenten und Spitzenkandidaten Dmitri Medwedew.

Vor allem Putin, vor einer Woche von seiner Partei noch einstimmig zum Präsidentschaftskandidaten für März 2012 gekürt, sah drein, als käme er gerade von einer Beerdigung.

"Einiges Russland" rangiert unter 50 Prozent


In den anderthalb Stunden zuvor war die Hauspartei des Kremls durch die Ergebnisse von Exit-Polls sowie die ersten offiziellen Ergebnisse der Wahlbehörde schockiert worden: Ihr Ergebnis lag bei 46 bis 48,5 Prozent.

Das Ergebnis, das anderswo in der demokratischen Welt frenetisch gefeiert würde, ist für ER eine herbe Niederlage: 2007, bei den letzten Dumawahlen auf dem Höhepunkt des russischen Wirtschaftsbooms , hatte die „Macht-Partei“ noch 64 Prozent eingefahren und damit in der Duma eine Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen, mit der sogar die Verfassung geändert werden konnte.

Zwar erklärte Medwedew, dass es „immer schwerer ist, Autorität zu bekräftigen als sie zu erringen“ – aber dann gestand er ein, dass dieses Ergebnis eben „die realen politischen Verhältnisse im Land“ wiederspiegelt.

Medwedew nimmt das "K-Wort" in den Mund


Putin war noch wortkarger: ER habe als Partei an den Schalthebeln des Staates eben auch die „Verantwortung für Verfehlungen und Missgeschicke“ zu tragen.

Medwedew nahm sogar ein Wort in den Mund, dass bisher im ER-Sprachgebrauch geradezu tabu war: „Koalition“: Bei gewissen Fragen müsse man sich eben in Zukunft mit den Kollegen von den anderen Parteien abstimmen, erklärte der Präsident – und definierte dies mit einem Lächeln zu einer parlamentaristisch-demokratischen Errungenschaft, über die man sich durchaus auch ein bisschen freuen könne.

Um Mitternacht kam ER nach Auszählung von etwa einem Viertel aller Wahllokale auf 48,7 Prozent. Auch wenn bislang die Wahlbehörde keine Hochrechnungen auf die Sitzverteilung veröffentlichte, ist klar, dass Putins Partei damit haarscharf an der Grenze zur absoluten Mehrheit in der 450 Sitze zählenden Duma laviert.

Etablierte Oposition deutlich gestärkt


Das Wahlergebnis stärkt dafür die bisher in der Duma vertretenen Oppositionsparteien: Zweitstärkste Partei ist wie bisher die KPRF – wobei die Kommunisten ihr Ergebnis auf 20 Prozent fast verdoppeln konnten. Die beiden anderen Parteien, die nationalistischen Liberaldemokraten des Populisten Wladimir Schirinowski und das moderat linke „Gerechte Russland“ von Sergej Mironow, liefern sich wie auch bei der letzten Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen: 2007 lagen beide bei etwa 8 Prozent, in der Wahlnacht rangierten sie bei 13 Prozent.

Bei Russland-Aktuell
• Erste Ergebnisse: ER bei 46 Prozent, KPRF über 20 Proz. (04.12.2011)
• Hacker-Attacken und Festnahmen am Duma-Wahltag (04.12.2011)
• Tschuktschen und Tschetschenen die eifrigsten Wähler (04.12.2011)
• Wahlmanipulation: am besten mit Extra-Wahllokalen (02.12.2011)
• Duma-Wahl: Putins Partei muss um Mehrheit bangen (30.11.2011)
Jabloko, die einzige betont westlich-liberal orientierte Partei im Spektrum der sieben zur Wahl zugelassenen Parteien, hat mit 2,7 Prozent wieder den Einzug in die Duma verpasst: Für einen einzigen „Trostsitz“ bräuchte es fünf Prozent, für eine Fraktion sieben Prozent.

In St. Petersburg, wo wie in 26 anderen russischen Regionen auch zeitgleich das Regionalparlament gewählt wurde, hat Jabloko aber offenbar nach ersten Ergebnissen mit 9 Prozent die Hürde erfolgreich geknackt. ER kam in der Heimatstadt seiner beiden Führungsfiguren nur auf knapp 30 Prozent.

Tandem-Frust war stärker als Wählerkarussell


Der Meinungsumschwung und fortschreitende Tandem-Frust, der bei Umfragen, aber auch fast allen politischen Diskussionen im russischen Internet zuletzt sichtbar wurde, hat sich also tatsächlich aufs Wahlergebnis niedergeschlagen.

Dies geschah ganz ungeachtet der viel gescholtenen „administrativen Ressourcen“ und den von der Opposition befürchteten massiven Wahlfälschungen zugunsten der vom Volksmund als „Partei der Gauner und Betrüger“ gescholtenen Beamten-Partei ER.

Zumindest einige Betrugsversuche hat es offenbar auch gegeben: Noch am Sonntag veröffentlichten einige Medien Video-Beweise von Korrespondenten, die sich von Wahl-Dunkelmännern als willfährige „Karussellfahrer“ hatten verpflichten lassen: Mit geheimen Erkennungszeichen ausgestattet, klapperten sie zahlreiche Wahllokale ab, um sich dort von eingeweihten Wahlhelfern immer neue Stimmzettel aushändigen zu lassen.

Oppositionsparteien beklagten vielerorts, dass ihre Beobachter unter Vorwänden aus Wahllokalen verwiesen worden wären oder auch Zeugen von Betrugsmanövern wurden.

Machtverlust auf die zivilisierte Art


Aber egal, ob nach dem Ende der Auszählung das Ergebnis doch noch für ein knappe ER-Mehrheit in der Duma reicht oder nicht: An diesem Advents-Sonntag ist in Russland die Ära der unangefochtenen politischen Alleinherrschaft der Kreml-Hauspartei zu Ende gegangen – besonders spürbar wird dies in einigen „Protest-Regionen“ werden.

Und dieser Machtverlust geschah ganz friedlich und korrekt, einfach durch die emanzipierte politische Willensbildung eines bislang gerne als obrigkeitshörig und apolitisch gescholtenen Volkes.

Man muss Putin, Medwedew und ER dabei eines zu Gute halten: Sie haben dies zugelassen.



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