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Vergeblicher Protest: Studentin der EHU in Minsk
Vergeblicher Protest: Studentin der EHU in Minsk
Montag, 27.06.2005

Das Ende der freien Lehre – und ein Neuanfang

Anna Brixa, Minsk/Vilnius. Weißrusslands liberale Uni, die Europäische Humanistische Universität Minsk, wurde im August 2004 geschlossen. Nun eröffnete sie feierlich wieder: Als „EHU International“ in Vilnius.

Die in Weißrussland einzigartige Bildungseinrichtung hatte auf Druck der obersten politischen Ebene im letzten Jahr schließen müssen. Daraufhin wurde von ihrem Rektor Anatoli Michailow in Zusammenarbeit mit den ausländischen Partneruniversitäten und mit Unterstützung von EU-Geldern der Neuaufbau der EHU als Exiluniversität im litauischen Vilnius initiiert.

Geplant: Wiederbelebung der EHU in Belarus

Fernziel des Projektes sollte „die spätere Wiederbelebung der EHU in einem freien Belarus“ sein, hatte die SPD-Politikerin und Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, Gesine Schwan, bereits im Juli 2004 gefordert. Zur Zeit beschäftigt die nach Vilnius oder an andere ausländische Universitäten gewechselten Ex-EHUler vor allem eine bange Frage: ob ihrer Studienabschlüsse in den europäischen Ländern anerkannt werden.

Brutstätte revolutionären Gedankenguts

Das liberale Unterrichtskonzept der 1992 als einzige Privatuniversität des Landes gegründeten EHU war über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Michailow hatte immer wieder öffentlich betont, seine Studenten würden Kritikfähigkeit und gesellschaftliche Kompetenz erlernen. Das an staatlichen Universitäten als Pflichtprogramm absolvierte Fach „nationale Ideologie“ gab es dagegen an der liberalen Hochschule nicht. Was im Westen als offene politische Aufklärung tituliert wurde, erschien der weißrussischen Führung dagegen wie eine Brutstätte westlicher Wertvorstellungen, demokratischer Grundsätze und möglicherweise gar aufkeimender Revolutionsgedanken.

Das Ende der freien Lehre

Ende Juli vergangenen Jahres schienen die Studenten der Regierung dann kritisch genug zu sein. Sie verwehrte der Universität auf Druck von Präsident Alexander Lukaschenko die Nutzungserlaubnis für das EHU-Gebäude. Da die Hochschule nun keine Räumlichkeiten für Seminare mehr bieten konnte, entzog das Bildungsministerium ihr dann im August die offizielle Lizenz. Die im Land einzigartige Bildungseinrichtung wurde geschlossen - das Ende der freien Lehre in Weißrussland. Daran hatten weder die öffentlichen Proteste renommierter ausländischer Partneruniversitäten noch der Widerstand der Studenten etwas ändern können.

EHU-Direktor Michailkow floh nach Drohungen

Ex-Rektor Michailkows liberale Wissenschaft hatte keine Zukunft mehr in Weissrussland. Der mit der Goethe-Medaille ausgezeichnete Wissenschaftler hatte sich standhaft geweigert, von seinem Posten zurückzutreten. Erst als er in seinem Heimatland Drohungen erhielt, gab er seinen Posten vorerst auf. Auch die Mehrheit der an der EHU lehrenden ausländischen Dozenten wurden anlässlich der Schließung aus Weißrussland ausgewiesen.

Studenten standen auf der Straße

Das Schicksal der Studenten ohne Uni blieb vorerst unklar. Sie hatten bis zum bitteren Ende für die Erhaltung ihrer Hochschule gekämpft. Der Wechsel an die Staatliche Universität Minsk stellte für sie keine echte Alternative dar: Zwar sind die Studiengebühren gleich hoch, allerdings mussten die Ex-EHUler die an ihrer Hochschule bereits erbrachten Leistungen an der Staatsuni offiziell anerkennen lassen - was durch die Zahlung einer Gebühr von 500 US-Dollar geschah. Viele der Studenten hatten naturgemäß auch wenig Interesse daran, dorthin zu wechseln. Die Staatliche Uni ist durch ihre ideologische Ausrichtung, den regierungstreuen Unterrichtsplan und das veraltete Lehrmaterial bekannt.

Ex-EHUler Nikita Andreew, der sein Studium an der FU Berlin fortsetzte, beschreibt die Studentenproteste: „Eine eindrucksvolle Protestaktion war der „Flash-mob“ am Zentralplatz in Minsk am 2. August. Punkt 18 Uhr haben sich zirka 80 EHU-Studierende auf den Gehsteig gesetzt und angefangen zu lesen. Die Fragen der Milizionäre beantworteten sie sehr einfach mit der Aussage: „Wir haben keine Gebäude mehr, deshalb studieren wir draußen“. Die Losung „Die EHU soll leben!“ trugen sie auf Brust und Rücken. Die Aktion dauerte genau zwölf Minuten, danach war der Platz wieder frei. Die Beamten des Innenministeriums, die eine halbe Stunde später am Protestort eintrafen, wussten gar nicht, was sie machen sollten.“

Gewaltfreie Studentenproteste

Am 5. August fand die letzte Protestaktion statt, an der ingesamt 400 Studenten, deren Eltern, Professoren und Mitarbeiter teilnahmen. Allerdings handelte es sich hier schon nicht mehr um eine Protest-, sondern um eine Abschiedsaktion. Ein Chor von Studenten sang „Gaudeamus“ als ein Zeichen, daß die EHU bis zum Ende eine Universität geblieben war. Andrejew kommentiert: „Unsere Aktionen waren sehr symbolisch und gleichzeitig deutlich. Sie waren gewaltfrei als eine Folge unserer humanistischen Ideologie.“

Reger Austausch mit dem Ausland

Die Proteste konnten nicht verhindern, dass die einzige nichtsstaatliche Universität Weißrusslands endgültig und ersatzlos vom Lehrplan gestrichen wurde. Die EHU hatte sich unter anderem durch rege Beziehungen mit ausländischen Partneruniversitäten einen Namen gemacht. So gab es beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder einen deutschsprachigen Masterstudiengang. Auch mit der FU Berlin wurde eng zusammengearbeitet. Das Osteuropainstitut dokumentierte in einer von EHU-Studenten organisierten zweiwöchige Foto-Ausstellung in Bildern und Texten die Geschichte der Universität und ihrer Schließung.

„Ein weiterer Schritt zur Selbstisolierung in Europa“

Prof. Klaus Segbers, der am Politik-und Osteuropainstitut lehrt, hatte sich aktiv für den Erhalt der EHU eingesetzt. Weiter engagiert er sich als Mitglied im Beirat eines EHU-Projekts und ist außerdem in die Überlegungen zur Gestaltung der kürzlich in Vilnius feierlich eröffneten „EHU International“ involviert.

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Ein Teil der EHU-Studenten hat schlussendlich die Möglichkeit in Anspruch genommen, ins Ausland zu gehen und dort ihr Studium fortzusetzen. Die meisten von ihnen sind nach Segbers’ Informationen jedoch im Lande geblieben und studieren bei Staatsuniversitäten weiter, „offenbar mit sehr gemischten Gefühlen und Ergebnissen“. Rund 40 Studenten lernen an der Europa- Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder, die FU Berlin hat 17 Studierende in drei Fachbereichen aufgenommen. Etwa 100 Studenten sollen bisher nach Vilnius gewechselt haben. Die Schließung der EHU sei „ein weiterer Schritt des Regimes in Minsk, jede Form unabhängigen Denkens zu behindern und zu unterbinden und ein weiterer Schritt hin zur Selbstisolierung in Europa“, kommentiert Segbers.

Verlorene Jugend in Belarus

Weißrussland verliert seine Jugend. Nicht nur die stetige rege Abwanderung durch nicht wiederkehrende Au-Pairs und Praktikanten, gerade der Weggang der gebildeten und kritischen Studenten reißt ein tiefes Loch in die weißrussische Bevölkerungsstruktur. Und doch ist die Entscheidung der jungen Menschen mehr als nachvollziehbar. Sie sehen für sich keine Zukunft in einem Land, das seine autoritär-diktatorischen Züge nicht einmal ansatzweise zu verbergen versucht.
(aj./rufo)


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